„Ich bleibe immer bei euch“ Mt 28, 20
Die Wiedergutmachung von Unrecht ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wenn wir erkennen, dass wir ungerecht behandelt wurden, möchten wir, dass Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. Im Wesentlichen sind es zwei Wege, wie wir das Recht wiederhergestellt sehen wollen. Der erste ist der Wunsch, Rache zu nehmen an dem, der unser Recht beschnitten hat. Durch die Verletzung des Aggressors oder zumindest durch den Wunsch, ihn zu verletzen, fühlen wir uns befriedigt und in unserem Gleichgewicht wiederhergestellt. Die Schriften des Alten Testamentes billigen diese Art, sich Recht zu verschaffen. Jesus aber schließt in seiner Lehre diesen Weg völlig aus. Der zweite Weg, wie wir unser Recht suchen, ist der Appell an eine höhere Macht – diese kann Gott sein – damit sie für uns eintritt und uns zu unserem Recht verhilft. Man nennt das auch die Rechtfertigung des Gerechten. Das bedeutet, dass die Unversehrtheit des Opfers wiederhergestellt wird, ohne dass dem Angreifer notwendigerweise Leid zugefügt wird.
Und er gab ihm im Himmel den Platz zu seiner Rechten (Eph 1, 20)
Als Jesus am Kreuz hing, schien der Vater zu schweigen. Jesus spricht den schweigenden Gott an, indem er den Psalm 22 betet: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Die Worte meines Stöhnens richten nichts aus… Ein Wurm bin ich, kein Mensch mehr, von den Menschen verachtet und verhöhnt. Alle, die mich sehen, machen sich über mich lustig, sie grinsen höhnisch und schütteln ihre Köpfe. ‘Auf Gott hat er vertraut, jetzt soll Gott ihm helfen! Der soll ihn erlösen; war er nicht sein Liebling?“
Jesus betet nicht um Rache. Er vergibt seinen Feinden. Aber er verlangt nach dem Eingreifen Gottes, nach seiner Gerechtigkeit (Ps 22, 31) und bittet seinen Vater, sich seiner anzunehmen. Augenscheinlich war nur Schweigen da. Jesus wurde beerdigt. Immer noch Schweigen. Aber plötzlich, zu einer Zeit, die Gott bestimmt, stellt Gott ihn wieder her, indem er ihn aus dem Tod auferstehen lässt. Dieser Gedanke bestimmt eindrucksvoll die erste Predigt Petrus nach Pfingsten. „Dieser Mensch, ist durch Gottes freien Entschluss und durch seine Vorsehung in eure Macht gegeben worden. Er ist durch Menschen, die das Recht nicht kennen, gekreuzigt und getötet worden. Gott aber hat ihn zum Leben erweckt und aus den Fesseln des Hades befreit…“ (Apg 2, 22-23). Dieses Geschehen begehen wir wieder einmal am Fest Christi Himmelfahrt. In der 2. Lesung (Eph 1, 17-23) schreibt Paulus. „Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, hat an Jesus seine ungewöhnliche Macht gezeigt. Eine Macht, die sich darin erwiesen hat, dass er ihn von den Toten erweckt und ihn im Himmel auf den Thron zu seiner Rechten gesetzt hat. Er hat ihn über alle Machthaber, Gebieter, Gewaltige, Majestäten und andere Mächtige gestellt, die man bei ihrem Namen anrufen kann, jetzt und in der kommenden Welt. Er hat ihm alles unter die Füße gelegt….“
Das Fest Christi Himmelfahrt versichert uns mindestens auf zwei Weisen, dass Gott die Macht hat, dem Gerechten zu seinem Recht zu verhelfen (ohne dabei rachsüchtig zu sein). Erstens wird sich der gleiche Gott, der sich für seinen Sohn eingesetzt hat, zu seiner Zeit auch für uns einsetzen. Zweitens liegt der Trost darin, dass auch Jesus das gleiche tun wird. In dem Bild des aufgenommenen Jesus (Apg 1, 1-1) wird uns nicht nur zugesagt, dass Christus wieder in seine göttliche Rolle eingesetzt ist, sondern auch, dass sich Jesus Christus durch seine alles umgreifende Gegenwart weiter für uns einsetzen wird.
„Und wisst, dass ich immer bei euch bin“ (Mt 28, 20)
In einem bekannten geistlichen Besinnungszentrum in Indien lebt der Priester Augustine Valloran. Er hat die Angewohnheit während der Anbetung vor dem Allerheiligsten, Namen von Menschen auszurufen und diesen eine Botschaft der Bibel zu übermitteln. Die Botschaft, an die sich viele erinnern und über die ich sie sprechen hörte, war diese oder dieser sehr ähnlich: „Und seid gewiss, dass ich immer bei euch bin“ (Mt 28, 20). Diese Worte, die wir im heutigen Evangelium hören, sind die Abschiedsworte Jesu im Matthäus-Evangelium. Ja, das Matthäus-Evangelium endet mit diesen Worten. Dieses Versprechen äußert Jesus vor dem Berg seiner Himmelfahrt.
Diese Zusage ist eine von denen, die in beiden Teilen der Heiligen Schrift immer wiederholt wird. Gott, der Herr, spricht zu den Patriarchen mal um mal. „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir“ (Gen 26, 24; 28, 15). Gott, der Herr, versichert dem Volk Israel seine Gegenwart auf dem ganzen Weg des Exodus: Am Tag war er in einer Wolke, des Nachts in einer Feuersäule bei ihnen (Ex 13, 21-22). Durch die Worte der Propheten erinnert Gott sein Volk und die Propheten selbst an sein Versprechen: „Habt keine Angst, denn ich bin bei euch“ (Jes 41, 10; 43, 5; Jer 1, 8; 15, 20). Das sind dieselben Worte, die uns Jesus als seine Abschiedsworte schenkt. „Und seid gewiss, ich bin immer bei euch bis an das Ende der Zeiten“ (Mt 28, 20).
Jesus ist unter uns in seinem Geist – dem Heiligen Geist. Das Fest des nächsten Sonntags gibt uns Gelegenheit, darüber nachzudenken. Jesus ist unter uns in seinem Leib – in der Eucharistie. Jesus ist unter uns in seinem Wort – in der Heiligen Schrift. Jesus ist unter uns in der Gemeinschaft der Glaubenden, die gleichzeitig auch sein Leib ist – in der Kirche.
Jesus ist bei uns, um uns bei der Erfüllung des Auftrags zu unterstützen, den er jedem von uns anvertraut hat: „Geht darum hin und schafft mir Jünger in allen Nationen“ (Mt 28, 19). Jesus ist bei uns, um uns die Sicherheit zu geben, dass Gott, sein Vater, uns retten wird gerade dann, wenn wir zu Opfern geworden sind, Opfer der Umstände, Opfer ohne Recht. Wir alle brauchen die Bestätigung, dass es eine größere Macht gibt, die Recht wiederherstellt und dem Gerechten beisteht, wenn menschliche Ordnungen und Institutionen versagen. Er wird uns Recht verschaffen zu einer Zeit, die allein er kennt.
Sahaya G. Selvam, sdb
Nairobi, 3. Juni 2011
Übersetzung Alfons Nowak