Gedanken zu den Lesungen des 19. Sonntags im Jahreskreis
Weish 18, 6-9; Hebr 11, 1-2.8-19; Lk 12, 32-48
Während der letzten Woche stieß ich durch Zufall bei Facebook auf einen meiner früheren Studenten. Wir hatten einen kurzen Kontakt miteinander und ich wurde neugierig auf das, was er in seinem Leben tat. Er sagt Kursentwicklungen voraus. Im Frühstücksfernsehen berichtet er über Marktentwicklungen und gibt Ratschläge für Investoren. Er bringt den Menschen bei, wie sie zuhause sitzend Geld verdienen können, indem sie Aktien kaufen und verkaufen. Ich habe mir einige seiner Fernsehshows angesehen. Alles geht darum, wie man schnell und mit wenig Mühe reich werden kann! Und er ist erfolgreich. Ich fragte mich: Können Menschen in einem Klima des schnellen Geldes einen Zugang zu Religion und Spiritualität finden? Man müsste mit ihnen wahrscheinlich in der Sprache des Geldes reden. So kommt es, dass meine heutigen Gedanken sich mit „Spirituellem Kapital“ beschäftigen. Mir ist bewusst, dass dieser Ausdruck in verschiedenen Bereichen gebraucht wird, die nichts mit christlichem Glauben zu tun haben, aber es ist sicher, dass der Begriff gut zu dem Evangelium des heutigen Tages passt.
Das heutige Evangelium erweckt den Eindruck, dass die Sprache des Geldes nichts Neues darstellt. Schon Jesus hat sie benutzt. Er spricht über Geldbeutel, die nicht verschleißen; über Reichtümer, die nicht an Wert verlieren; über Schätze, die nicht gestohlen werden können. Um diese Themen kreisen meine Überlegungen.
Spirituelles Kapital, spirituelle Reichtümer sind das, was Jesus „Schätze im Himmel“ nennt. Es liegt an uns, an unserer freien Willensentscheidung, ob wir der Gnade Gottes antworten und uns spirituelles Kapital erwerben. Das Wachsen spirituellen Reichtums lässt sich nicht unserem Verdienst allein anrechnen. Nach den Lesungen des heutigen Tages scheint es drei Wege zu geben, auf denen man spirituellen Reichtum sammeln kann:
- Der intrapersonale Weg durch Achtsamkeit
- Der interpersonale Weg durch Mitmenschlichkeit
- Der transpersonale Weg durch den Glauben an Gott.
An den Texten der heutigen Liturgie will ich diesen drei Wegen nachspüren.
Achtsamkeit: „Seid bereit…“! (Lk12, 35)
Die meisten religiösen Traditionen sprechen über Achtsamkeit als den Beginn des spirituellen Weges. Stille, Meditation, Gebet sind die Hilfen, um im Selbst die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was Gott und Mensch miteinander verbindet. Ein sicherer Weg, um spirituelles Kapital zu bilden!
Im christlichen Kontext ist Achtsamkeit stets verbunden mit Wachheit und der Bereitschaft, tätig zu werden. Achtsamkeit ist umgeben von einer Stimmung der Hoffnung. Im Evangelium heißt es: „Glücklich zu preisen sind die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt“ (Lk 12,43). Achtsamkeit hat sicherlich nichts zu tun mit Angespanntheit und Ängstlichkeit in der Erwartung des Augenblicks der Gnade – der Ankunft des Herrn. Im Gegenteil, im Kontext der Bibel ist Achtsamkeit genau das Gegenteil von Ängstlichkeit. Es heißt, in wacher Vorfreude zu erwarten, was Gott in unseren Herzen, in unseren Leben bewirken will. Darauf freudig gespannt zu sein, mit mir selbst, mit den anderen und mit Gott in friedlichem Einklang zu sein. Stille und das tiefe persönliche Gebet sind die Hilfen zu einer entspannten – nicht lethargischen – Offenheit, die wahrnehmen kann, wie Gott vorübergeht.
Spirituelle Schriftsteller haben diesen Zustand „zentriert sein“, „verwurzelt sein“ genannt. Auch in unserem hektischen Alltag ist es möglich, verwurzelt zu bleiben. Wenn wir verwurzelt sind, können die Stürme des Lebens unseren Lebensbaum, unser Selbst nicht an die Erde drücken. Was können wir tun, um unsere innere Stabilität zu festigen? Gehen wir den Weg der Achtsamkeit in Stille, Meditation und kontemplativem Gebet. Auf diese Weise werden wir offen für die Gnade Gottes, die uns hier und jetzt einen Geschmack von dem gibt, was ewiges Leben ist, Leben in Gott!
Mitmenschlichkeit: „Verkaufe deinen Besitz und gib ihn den Armen“ (Lk 12,33)
Jesus betont immer wieder, dass wir unseren Besitz dazu nutzen sollen, unsere Beziehungen unter einander zu verbessern. Im Gleichnis des untreuen Verwalters (Lk 16, 1-9) lädt er uns ein, „das Geld, auch wenn es befleckt ist, dazu zu gebrauchen, uns Freunde zu gewinnen. Dann werden sie uns, wenn es mit uns zu Ende geht, einen Platz in den himmlischen Wohnungen beschaffen.“ Im heutigen Evangelium und an anderen Stellen (Mt 6, 2-3; Mk 10, 21) lädt Jesus uns ein, „unseren Besitz zu verkaufen und ihn den Armen zu geben“. Daran erkennen wir, ein weiterer Weg, himmlischen Besitz zu erwerben, liegt darin, irdischen Besitz an die abzugeben, die in Not sind. Ein ganz konkreter Weg, in sein spirituelles Kapital zu investieren.
Ich denke, es gibt in Hinsicht auf unsere Mitmenschen zwei Weisen, unser spirituelles Kapital aufzubauen. Der eine Weg ist der oben genannte, die irdischen Reichtümer an die Bedürftigen weiterzugeben. Die zweite Weise möchte ich aus der Lesung aus dem Buch der Weisheit ableiten. Dieser Satz aus der Lesung elektrisierte mich: „Sie opferten ihre Gaben im Verborgenen und verpflichteten sich einmütig auf dein göttliches Gesetz, das bestimmt, dass alle Angehörigen deines Volkes miteinander Gutes und Böses teilen sollen“ (Weish 18,9).
Wir hatten in der Schule einen Lehrer, einen Jesuiten, der uns eine spirituelle Übung beibrachte, er nannte sie „Spiritueller Blumenstrauß“. Wir haben sie folgendermaßen durchgeführt: Er gab uns kleine Hefte mit Umrisszeichnungen von Blumen, Leitern, Rosenkränzen und ähnlichen Dingen. Wenn man etwas Lobenswertes getan hatte, eine gute Tat im Verborgenen oder wenn man sich einer Buße für etwas Tadelnswertes unterzogen hatte, nahm man das Büchlein und malte ein Blütenblatt oder eine Stufe der Leiter farbig aus. Natürlich wollte man das ganze Bild fertig stellen und war motiviert, die geheimen kleinen guten Werke weiter zu tun. Wenn die Blume vollendet war, widmete man sie Jesus oder seiner Mutter Maria. Mir ist bewusst, wie kindlich diese Übung war und dennoch glaube ich, dass sie für uns wertvoll war. Sie half, gutes Benehmen zu fördern und ließ uns spüren, dass spirituelle Dinge eine ernsthafte Angelegenheit sind. Die Worte aus dem Buch der Weisheit vom heutigen Tage betonen den unschätzbaren Wert auch kleiner Werke der Nächstenliebe und der Opferbereitschaft. Sie ließen mich an die im Verborgenen getanen Werke eines kleinen Jungen denken, der ich damals war.
Ich glaube sehr stark an die wohltuende Wirkung kleiner Mühen und Opfer, die wir im Laufe des Tages auf uns nehmen, indem wir die Unannehmlichkeiten, die der Tag mit sich bringt, geduldig und wohlwollend aushalten. Zum Beispiel glaube ich, dass es nicht die geschliffene Redeweise ist, die die Herzen der Zuhörer meiner Predigt erreicht. Die Mühe, die ich mir bei der Vorbereitung mache, ist es, die durch die Gnade Gottes die Herzen der Menschen berührt. Das, was wir tun, auch das, was im Verborgenen geschieht, hat soziale und spirituelle Auswirkungen, eine ist das spirituelle Kapital, das sich bildet, für uns und für andere.
Gott zuerst: „Nur im Glauben ist uns sicher, worauf wir hoffen…“ (Hebr 11,1)
Der dritte Weg, spirituelles Kapital zu bilden, ist der Glaube. Die zweite Lesung des heutigen Tages lädt uns ein, Gott zum Mittelpunkt unseres Lebens zu machen; denn nur „der Glaube ist die feste Zuversicht, auf das, was wir erhoffen, die Überzeugung von dem, was wir nicht sehen“ (Heb 11,1). Was ist das, was wir im Glauben erhoffen? Könnte man sagen, es ist der spirituelle Reichtum, das spirituelle Kapital, der Schatz im Himmel, das ewige Leben?
Bevor wir uns dem ewigen Leben und dem Schatz im Himmel zuwenden, möchte ich etwas über die einzigartige Bedeutung Gottes für unser Leben sagen. Glaube ist für mich die Wahrnehmung, dass ich nach Gottes Bild geschaffen wurde. Es bedeutet wahrzunehmen, dass Gott in mir wirkt und mich zu ihm hinziehen will. Dieses nehme ich nur in Achtsamkeit und Stille wahr – ich muss aufmerksam darauf sein. Das Wirken Gottes erfahre ich auch in der Nächstenliebe, denn jeder Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen. Für uns ist Gott Dreifaltigkeit, eine Wirklichkeit, die in Beziehung besteht. Wenn ich eine achtungsvolle liebende Beziehung mit anderen eingehe, bekomme ich eine Ahnung davon. Das Wachsen spirituellen Kapitals ist dreidimensional – intrapersonal, interpersonal und transpersonal. Das Endziel ist das ewige Leben – der wahre Schatz, der wahre spirituelle Reichtum.
Und was ist ewiges Leben? Papst Benedikt XVI sagt dazu, „‘Ewiges Leben‘ ist nicht – wie der moderne Mensch annehmen möchte – Leben nach dem Tode, im Gegensatz zu dem gegenwärtigen Leben, das vorübergehend und nicht ewig ist. ‚Ewiges Leben‘ ist Leben, wahres Leben, das schon jetzt gelebt werden kann und für das der Tod keine Bedrohung ist. Darum geht es: ‚Leben‘ hier und jetzt in aller Fülle zu erleben, ein Leben, das durch nichts und niemanden zerstört werden kann“ (Jesus von Nazareth, Band 2, 81-82).
Sahaya S. Selvam
Übersetzung Alfons Nowak