Brief aus London – 1

27. Oktober 2008

Es klopft an der Haustür meiner Ordensgemeinschaft. Eine Frau hat eine Bitte.“Bitte spenden Sie 2 Pfund für die Pflege von streunenden Hunden und Katzen.“

Am liebsten würde ich in mein Zimmer hasten, zwei wertvolle Pfundnoten aus meiner Schultasche nehmen, ihr geben und dann dazu sagen: „Können Sie mir bitte ein Pfund schenken. Damit kann ich in Tansania, in dem Dorf Mtakuja, eine ganze Familie für einen ganzen Tag mit allem Nötigsten versorgen!“ Aber ich lasse es, es wäre zu unhöflich!

Eine Gebetszeit in meiner Ordensgemeinschaft. Das Thema.: Bewahrung der Schöpfung… oder so ähnlich! Man spielt ein stimmungsvolles Lied und begleitet es über eine Power-Point Präsentation mit Bilder von herrlich blühenden Wiesen. Vielleicht gab es auch noch ein paar Fotos, die man von der website von ‘National Geographic’ herunter geladen hatte. Danach gab es eine Schriftlesung, einen Psalm, einen Austausch…

Was ich aus allem heraushörte (vielleicht hat niemand derartiges gesagt, aber bei mir kam es so an):

„Schafft die Wälder ab. Betoniert und asphaltiert alles. Pflanzt Bäume in geraden übersichtlichen Reihen und Gruppen. Dann können unsere Kinder engen Kontakt zur Natur haben (ohne sich in Gefahr zu begeben). Eine romantisch verklärte Diskussion unserer Umweltkrise! Toll!

Was ich sagen wollte war: „Unsere Ordensgemeinschaft besteht aus 14 Personen. Wir haben mindestens 10 Kühlschränke. Könnten wir nicht wenigstens einen abschalten? Wir haben mindestens 10 Waschmaschinen und 10 Trockner. Könnten wir nicht wenigstens einen abschaffen? Könnten wir den Gebrauch von Sprays nicht einschränken? Könnten wir mittags nicht mit einem Teller auskommen, anstatt drei zu benutzen…usw., usw..“ Aber ich sagte nichts. Ich wollte meiner Gemeinschaft gegenüber nicht undankbar erscheinen, schließlich gewähren sie mir freies Wohnen und Essen. Und zu alledem, ich benutze ja auch einen Kühlschrank und eine Waschmaschine.

Ein Diskussion in meinem College über den derzeitigen Banken-Zusammenbruch. Eine Studentin fragt den Vorsitzenden: „Was hat dies alles für Auswirkungen auf die Globalisierung?“ Der Banken -Crash wird dazu führen, dass ausländische Direkt-Investitionen reduziert werden. Die Entwicklungshilfe wird vermutlich gekürzt werden, und damit wird die Kaufkraft geschwächt… und so weiter! Die Studentin reagiert konsterniert. „Das ist wirklich schade. Schließlich hat die Globalisierung uns alle einander näher gebracht!“

Ich darf doch wohl annehmen, dass diese Studentin ein sehr edles Bild der Globalisierung hat. Mich drängt es, einiges klarzustellen: „Liebe Mitstudentin, was wollen Sie uns damit sagen? Vielleicht dieses? Dass die Menschen in Tansania Orangen-Marmelade und eingelegte Gurken aus Großbritannien essen sollten, dass sie Tabasco Chilly-Sauce aus den USA probieren, Ceres Fruchtsaft aus Süd-Afrika trinken und importierte Milch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten verwenden sollten (Fragen Sie mich nicht, ob es in Dubai überhaupt Kühe gibt!), während gleichzeitig die Ernte in den Dörfern in der Nähe von Mombo in Nord-Tansania verrottet und die Molkerei im Dorf Kinynambo in Süd-Tansania ihre Milch wegkippt?“ Ich lasse die Gelegenheit verstreichen, es ist keine Zeit da für meinen Einwand. Außerdem, hätte sie mich verstanden?

Klar, die meisten von uns kennen die Grundlagen unseres Wirtschaftssystems: Angebot und Nachfrage! Warum ist der Ölpreis in den letzten Jahren hoch geschossen? Warum bezahlen wir mehr für Benzin als für Diesel? Weil die Herstellung von Diesel weniger kostet. Aber was wir vermutlich nicht verstehen, das sind solche Dinge. Warum ist importierte Marmelade in Tansania billiger als die im Land hergestellte? Warum importiert Tansania exotische Früchte? Doch nur aus dem Grund, um dem Handelsabkommen nachzukommen, das unterzeichnet wurde, als Tansania einiges an Entwicklunghilfe aus England erhielt! (An dieser Stelle erinnere ich mich, dass ich in den Regalen eines Supermarkts in Kenia einige außergewöhnliche Teemarken gesehen habe, die in England gepackt worden waren!!! Fragen Sie mich nicht, wo dieser Tee gewachsen ist!)

Egal, dies ist Globalisierung: Nett sein und sich mit seinem Produkt dem Wettbewerb auf dem globalen Markt stellen. Die Tüchtigsten überleben! Wer ist der Tüchtigste? Einer, der leichter an Kredite kommt, der mehr riskieren kann. Einer, der besser mitmischen, der die modernen Kommunikations- und Transport-Systeme besser nutzen kann. Jemand, der Rohstoffe am billigsten einkauft, Arbeitskräfte zu niedrigsten Löhnen beschäftigt und die besten Preise für sein Produkt erzielt! Das ist alles zu komplex, um es in kurzen Zügen darstellen zu können. Auch bin ich kein Experte dafür.

Abendnachrichten um 7 Uhr, ITV London. Es ist der dritte Tag nacheinander, dass ich mich gezwungen habe, sie mir anzusehen. Der internationale Teil befasst sich mit Mugabe in Simbabwe. Ich verstehe nicht, dass die Briten so sehr an Simbabwe interessiert sind. Ist es wegen der widerlichen Bemerkungen über die englische Königin, die dieser von den Briten aufgebaute Veteran von sich gegeben hat? – Lassen wir es. Weiter darüber zu diskutieren, würde zu politisch werden. Es bedeutete, in der Vergangenheit zu graben, die Verstrickungen in Schuld zu beleuchten. Und natürlich müsste man über Afrikas Präsidenten reden, die sich ein lebenslanges Mandat gegeben haben, über die Diktatoren und Kriegstreiber, die immer, zumindest am Anfang, durch Unterstützung des Westens hoch gekommen sind.

In den letzten Tagen versuche ich, Dawkins Buch ‘Gotteswahn’ zu lesen. – (Das Buch von Dawkins war auch in Deutschland ein Bestseller. Ein Biologe rechnet mit dem Gottesglauben ab, entlarvt diesen angeblich als einen gefährlichen nicht korrigierbaren Wahn.) – Zentrierung auf Europa sogar in Wissenschaft, Philosophie und Religion! Ich bin froh, dass Dawkins in seinem dummen Machwerk nur den Westlich Christlichen Gott aufs Korn nimmt. (Entschuldigung, dass ich es wage, ein Werk dieses großen Erforschers der Evolution ‘dumm’ zu nennen. Er hat schließlich Theorien über ‘Memes’ und ‘Falsche Gene’ entwickelt.) Natürlich liegt in der Erbanlage dieses große Denkers die Erinnerung an die Geschichte Europas eingebettet wie ein falsches Gen: Die Scheußlichkeiten einer Geschichte dominiert vom Heiligen Römischen Reich… Kreuzzüge, die Reformation, die Französische Revolution… die so genannte ‘Aufklärung’. (Wir wollen nicht noch einmal den Holocaust erwähnen. Israel muss sich heute, im 21. Jahrhundert, für seine ‘Berliner Mauer’ rechtfertigen. Das westliche Europa schweigt dazu wegen seiner eigenen Schuldverstrickung. Und die US-Wirtschaft und Politik wird von einer Gruppe Menschen beherrscht, die meinen, ihre ethnischen Wurzeln in dem Land zu haben, das seit 1945 Israel heißt.) Wie auch immer, Dawkins scheint keine Vorstellung zu haben von den Millionen Afrikanern und Latein-Amerikanern, sowie von den Billionen Asiaten, die zu Gott und Religion eine völlig andere Beziehung haben.

Das Schlimme ist nur, seine Idee verkauft sich. Nicht nur in England, Europa und den USA, nein überall in der Welt. Ich stelle mir vor (dies ist nur eine Vorstellung, vielleicht aber über etwas, das in der Vergangenheit wirklich passiert ist!), ich stelle mir vor, dass in London eine Konferenz abgehalten wird mit dem Thema ‘Erziehung und Bildung im 21. Jahrhundert’.Der Minister für Bildung und Erziehung der Vereinigten Republik Tansania wird eingeladen. Natürlich wird sein Aufenthalt und seine Teilnahme an der Konferenz über die Maßen großzügig von einer gut meinenden Nicht-Regierungs-Organistion bezahlt. Deren Vermögen stammt vom Steuerzahler oder von einem großzügigen Sponsor aus England (oder von einem multinationalen Konzern, der vorher das Blut der armen Tansanier ausgesaugt hat). Dann wird es einen Britischen Erziehungswissenschaftler geben, der gerade am Tag vorher Dawkins gelesen hat. Der wird dann von „Werte-freier Erziehung“ sprechen. Der Tansanische Minister wird, jetzt viel besser aufgeklärt, dankbar sein für die Teilnahme an der Konferenz und die schöne Auslandsreise und wird demnächst in seinem Parlament (das übrigens viermal so groß und viel besser möbliert ist als das Britische House of Commons) ein Gesetz durchbringen, das bestimmt, dass alle religiösen Symbole aus den Klassenräumen in Tansania entfernt werden müssen. Und die Tansanischen Abgeordneten in der Dodoma-Halbwüste, bei einer Außentemperatur von 38° Celsius gekleidet in Mantel, Anzug und Schlips, werden sich gegenseitig versichern, dass sie auf dem Weg zu mehr Entwicklung, die richtige Entscheidung getroffen haben. Schließlich kommt das Konzept der ‘Werte-freien Erziehung’ aus dem WESTEN.

Und dann ist da ein armer Lehrer in einem der Shirimatunda Dörfer in dem ländlichen Tansania, der mit Staccato-Sätzen seinen Schülern in einem überfüllten Klassenraum die Englische Sprache beibringen will: „This is a window.“, „This is a door.“ – Aber dieser Klassenraum hat gar kein Fenster und hat gar keine Tür, nur ein offen gelassener Spalt in der Wand, durch den die Schüler rein und raus können und offen gelassene Löcher, durch die sie viel frische Luft und Sonnenschein mitbekommen. Aber dieser Klassenraum hat auch eine große Wand, an der kein religiöses Symbol mehr hängt. Dank einem großen Gelehrten mit Namen Dawkins.

Ich höre jetzt auf. Vielleicht habe ich alles falsch verstanden. Ich bin ja schließlich neu hier. Entschuldigt bitte die komplizierten Sätze in diesem Brief. Das kommt sicher daher, dass ich während des Englisch-Unterrichts immer Männchen auf mein schmutziges Pult gemalt habe.

Euer

Sahaya G. Selvam

Übersetzung Alfons Nowak

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