Die enge Tür
21 .Sonntag im Jahreskreis – Lk 13, 22-30
Welche Lehrer hast du in deiner Schulzeit bevorzugt, die lockeren oder die strengen? Ich habe seit 24 Jahren mit Schule zu tun (mehr als mein halbes Leben). Mir waren immer die strengen Lehrer lieber. Die lockeren fand ich meistens seicht, manchmal auch kleingeistig mit der Neigung, Leistung wenig zu fördern, um den Klassendurchschnitt niedrig zu halten und es allen Schülern recht zu machen.
Im heutigen Evangelium zeigt sich Jesus als ein strenger Lehrer mit anspruchsvollen Forderungen. Dieser Wesenszug Jesu ist für das Lukas-Evangelium ungewöhnlich. Matthäus zum Beispiel benutzt den Ausdruck ‘mit den Zähnen knirschen’ fünfmal in seinem Evangelium, Lukas nur einmal. Und das geschieht im heutigen Evangelium. Was ist die zentrale Botschaft des heutigen Wortes Gottes, wenn wir es im Zusammenhang des ganzen Lukas-Evangeliums sehen? Ich will mich auf das Bild der ‘engen Tür’ konzentrieren. Dieses Bild scheint von uns Jüngern Jesu, etwas Spezielles zu verlangen.
Die enge Tür: Fürchte dich nicht, zur Minderheit zu gehören.
Das heutige Evangelium beginnt mit den Worten, „Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus lehrend durch Städte und Dörfer“ (13, 22). Der größte Teil des Lukas-Evangeliums beschreibt Jesus auf seinem Weg von Galiläa nach Jerusalem. „Als die Zeit näherkam, dass Jesus in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloss er sich, nach Jerusalem zu gehen“ (9, 51). Der triumphale Einzug in Jerusalem wird in 19, 28-48 beschrieben. Jesus wird dargestellt als einer, der auf der Durchreise ist. Dabei wird er von einer großen Menschenmenge begleitet (14, 25; 20, 45). In seinen Reden kann man immer wieder die Tendenz feststellen, die Menschen in ihren Erwartungen zu enttäuschen. Der Sinn liegt darin, ihre Aufmerksamkeit auf die ganz praktischen Konsequenzen ihrer Entscheidung zu lenken. Das heutige Evangelium mit seiner besonderen Tonlage kann man in diesem Rahmen deuten.
Ein Mann stellt Jesus die wichtige Frage: „Herr, werden nur wenige gerettet?“ (13, 23). Die Frage ähnelt der Frage, die sich noch heute manche Katholiken stellen: „Gibt es außerhalb der Kirche Heil?“ Die Frage nach dem Heil wurde zur Zeit Jesu ernsthaft diskutiert (siehe z.B. Lk 10, 25; 18, 18). Die Juden glaubten im allgemeinen, dass sie gerettet würden, weil sie Juden waren, weil sie dem erwählten Volk angehörten. Einige allerdings neigten dazu anzunehmen, dass nur die Juden gerettet würden, die dem Gesetz peinlich genau folgten. Jesus schließt sich keiner dieser extremen Positionen an. Für ihn ist es wichtig, klar zu stellen, dass es keine Rettung gibt, nur weil man zu einer bestimmten Gruppe gehört. Jeder muss offen bleiben für Überraschungen. Eines ist allerdings wichtig: Sei bereit, durch die enge Tür zu gehen. Heil ist nicht unbedingt dort zu finden, wo die Mehrheit ihres sucht.
Die Menschen neigen dazu, ihre eigene Identität von der Identität der Gruppe abzuleiten. Wenn wir gefragt werden, „Wer bist du?“, definieren wir uns gerne in Begriffen, die unsere Gruppenzugehörigkeit bezeichnet: Ich bin ein Inder, ein Katholik, ein Salesianer! Je größer die Gruppe ist, zu der wir gehören, desto bombastischer ist auch unsere Identität. Manche von uns sind vielleicht stolz, Katholiken zu sein, weil es die größte Kirche ist, der sie angehören oder weil sie so straff und weltweit organisiert ist oder wegen ihrer Geschichte, dass sie den Stürmen der Zeit widerstanden hat. Nun, dieses alles bedeutet nichts im Vergleich mit unserer persönlichen Glaubenserfahrung von ewigem Leben. Das ist die überraschende Botschaft dieses Evangeliums!
Die enge Tür: Mach dich klein.
Als Hilfspfarrer in einer Pfarrei in Süd-Tansania war es in der Osterzeit üblich, jedes Haus zu segnen, eine immense Arbeit. Es gab über 1300 Haushalte verteilt auf 15 Dörfer. Außerdem sind in diesem Teil Afrikas die Dörfer und in den Dörfern die Häuser weit verstreut. Wir mussten weit laufen, und die Türen in den Häusern waren häufig sehr niedrig und eng. Wir mussten uns tief bücken, um einzutreten und sobald wir im Haus waren, befanden wir uns in einem finsteren, völlig verqualmten Raum. Für uns Erwachsene war es eine demütig machende Erfahrung, sich immer wieder bücken zu müssen. Im Gegensatz zu uns liefen die Kinder munter in die Häuser rein und raus.
An anderer Stelle im Lukas-Evangelium stellt Jesus Kinder als nachahmenswertes Beispiel vor. Ihre eingeschränkte Größe, ihre Kleinheit, ist das Bild, das unsere Einstellung gegenüber dem Reich Gottes prägen soll. „Er nahm ein kleines Kind, stellte es neben sich und sagt zu ihnen. ‘Wer, dieses Kind in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf… Der Geringste unter euch ist der Größte’“ (9, 46-48). Und an anderer Stelle in diesem Evangelium „rief Jesus die Kinder zu sich und sagte, ‘Lasst die Kinder zu mir kommen und verbietet es ihnen nicht; denn Menschen wie diesen gehört das Reich Gottes. Ich sage euch, wer das Reich Gottes nicht aufnimmt wie ein Kind, der wird nie hinein gelangen’“ (18, 16-17). Das heutige Evangelium lädt uns ganz einfach ein, ‘das Reich Gottes wie ein Kind willkommen zu heißen’. Durch die enge Tür zu gehen, bedeutet, uns klein zu machen wie kleine Kinder.
Die enge Tür: Lass dich quetschen.
Der Direktor einer Hilfsorganisation aus den USA bereiste Afrika. Er musste von Nairobi in einer 6-sitzigen Maschine in den Süd-Sudan fliegen. Er war ein massiger Mann, unvorstellbar dick. Vor dem Abflug hatte der Pilot viel Mühe, das Gewicht der Passagiere in der kleinen Maschine auszubalancieren. Aber es gelang. Doch als sie landeten, konnte der kräftige Direktor nicht aussteigen. Vielleicht wegen des mehrstündigen Sitzens während des Fluges war es zu Wasseransammlungen im Körper gekommen, die die Figur des Direktors so verändert hatten, dass er nicht mehr durch die enge Tür des kleinen Flugzeugs passte. Seine Begleiter mussten ihn buchstäblich aus der Maschinen heraus quetschen! (Wie ich gehört habe, soll dieses Erlebnis den Direktor dazu bewogen haben, sich nach der Rückkehr in die USA einer Gewicht reduzierenden Operation zu unterziehen.)
Diese lustige Anekdote bietet uns eine weitere Deutung des Bildes der engen Tür. Durch enge Türen zu gehen, bedeutet nicht nur, klein sein zu müssen, sondern auch, dass wir uns manchmal hindurch quetschen müssen – besonders dann, wenn wir uns selbst groß gemacht haben! Die zweite Lesung aus dem Brief an die Hebräer erinnert uns daran. Hier heißt es. „Zu leiden ist Teil der Erziehung; Gott behandelt euch wie ein Vater seine Söhne“ (12, 5-6). Die Botschaft ist klar. „Rafft euch auf, dass eure müden Hände wieder stark, eure zitternden Knie wieder fest werden. Geht auf geraden Wegen, damit die lahm gewordenen Füße nicht auch noch verrenkt, sondern wieder heil werden“ (12, 12-13).
Das Wort Gottes von heute möge uns aufrütteln. Die Kraft der Eucharistie möge uns stärken, damit wir durch die enge Tür gehen und dadurch Leben gewinnen – ewiges Leben!
Sahaya G. Selvam, sdb
Nairobi, 25. August 2013
Übersetzung Alfons Nowak