Glauben und Dazu-gehören: „Wir sahen jemanden, der nicht zu uns gehört…“
(Mk 9, 38-48 und Num 11, 25-29)
Zwei Worte tauchen seit den 60er-Jahren in Studien über Religion immer wieder auf: ‘Believing’ und ‘Belonging’, ‘Glauben’ und ‘Dazu gehören’ – gläubig sein und zu einer Glaubensgemeinschaft gehören. 1994 veröffentlichte die Britische Religionssoziologin Grace Davie ein Buch über die Zunahme des Säkularismus in Groß-Britannien seit 1945. Sie nannte es ‘Believing without Belonging’, ‘Glauben, ohne dazu zu gehören’. In dem Buch vertritt sie die Auffassung, dass die meisten Menschen, die nicht zu einer institutionalisierten Religionsgemeinschaft gehören, doch einen irgendwie gearteten Glauben an Gott haben. Sie wollen nur nicht einer bestimmten Religion zugerechnet werden – sei es, dass sie die Scheußlichkeiten ablehnen, die im Namen von Religion begangen wurden, sei es, dass ihnen die Zeit dafür einfach zu schade ist. Es gibt noch weitere Bücher, in denen diese beiden Begriffe auftauchen. In Italien zum Beispiel haben Wissenschaftler behauptet, dass viele Italienische Katholiken zur Kirche gehören, ohne daran zu glauben, was die Kirche lehrt. Vor kurzem vertrat die Engländerin Abby Day in ihrem Buch ‘Believing in Belonging’ – ‘An die Zugehörigkeit glauben’ – die These, dass Menschen glauben, um zu einer Gruppe zu gehören, die ihnen Identität gibt.
Diese Diskussion lädt uns – Gläubige der Katholischen Kirche – dazu ein, uns einigen Fragen zu stellen: Warum gehören wir dieser Kirche an? Wie sehen wir jemanden an, der nicht zu uns gehört, der keiner von uns ist? Was, wenn dieser Gehört-nicht-zu-uns die christlichen Werte ernster nimmt als wir, wenn die Gaben des Heiligen Geistes deutlich an ihm zu erkennen sind? Wird unser psycho-soziales Bedürfnis nach Festlegung einer Zugehörigkeit so weit gehen, dass wir sogar im Namen von Religion und Heil Menschen danach einteilen, ob sie ‘drinnen’ oder ‘draußen’ sind? Wollen wir wirklich den großen Gott des Universums in unseren kleinen räumlichen und sozialen Umzäunungen einschließen und dem Geist verbieten, dort zu wehen, wo er will (siehe Joh 3, 8)?
„Wenn doch das ganze Volk Gottes zu Propheten würde…“ (Num 11, 29)
Die heutigen Lesungstexte bieten uns zwei Geschichten, in denen es um den Kampf zwischen Glauben und dem Dazu-gehören geht, eine aus der Zeit des Moses, die andere aus der Zeit Jesu. Die erste Geschichte (Num 11, 25-29) erzählt von zwei Männern, die im Lager geblieben waren, während der Geist des Herrn in Form einer Wolke auf das Offenbarungszelt hinab kam. Sie hießen Eldad und Medad. Obwohl sie nicht zu den von Moses ausgewählten 70 Ältesten gehörten, kam der Heilige Geist dennoch auf sie herab, und sie begannen prophetisch zu reden. Moses ist großherzig genug, um hierin den Willen des Herrn zu erkennen und fügt diese beiden den anderen siebzig hinzu und erreicht damit die Zahl 72 (sechs Älteste für jeden der 12 Stämme Israels; Jesus wählt im Lukas-Evangelium 72 Jünger aus – Lk 10, 1). Dieses Ereignis lässt Moses die Universalität des Geistes Gottes erkennen. Während Josua Gottes Wirken auf den Kreis der von Moses eingesetzten Institution beschränkt sehen will, hat Moses selbst eine weitere Sicht: „Moses erwiderte ihm, ‘Willst du dich gegen mich ereifern? Wäre es nicht schön, wenn das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr auf alle seinen Geist legte!’“(Num 11, 29).
Eine ähnliche Situation schildert die Geschichte des heutigen Evangeliums, als Johannes (ein Apostel der Jesus so nahe steht, wie es Josua bei Moses war) sagt: „Wir haben jemanden gesehen, der nicht zu uns gehört und in deinem Namen Dämonen austrieb. Und weil er nicht zu uns gehört, wollten wir ihn daran hindern“ (Mk 9, 38). Jesus weist sie mit Nachdruck zurecht. „Ihr dürft ihn nicht hindern! Keiner, der in meinem Namen Wunder tut, wird hinterher schlecht von mir reden“ (9, 39). Jesus erinnert uns daran, dass sein Königreich kein Machtbereich ist, der über Länder oder über Institutionen herrscht. Es geht bei ihm auch nicht darum, zu einer Gruppe zu gehören (die Mitglieder der Kirche) oder außerhalb zu stehen (die Unkirchlichen). Sein Königreich ist eine Sache des Herzens. Und Gott hat die Möglichkeit, in den Herzen der Menschen zu wirken, wie es ihm gefällt.
Gott Gott sein lassen – auch außerhalb unserer Gemeinschaft
Ignatius von Loyola listet in seiner Einführung zu den ‘Geistlichen Exerzitien’ 20 Punkte auf, die den geistlichen Leitern Hinweise für die Durchführung der 30-tägigen Exerzitien geben sollen. Diese Hinweise werden auch Anmerkungen genannt. In der 15. Anmerkung sagt er: „… bei der Suche nach dem Willen Gottes während der Geistlichen Exerzitien ist es angebracht und besser, den Schöpfer und Herrn selber mit der ihn suchenden Seele kommunizieren zu lassen, indem er sie mit seiner Liebe und seinem Lobpreis erfüllt und sie bereit macht für den Weg, auf dem sie ihm in Zukunft am besten dienen kann. Derjenige, der die Exerzitien leitet, soll sich nicht der einen oder anderen Seite zuneigen, sondern soll in der Mitte stehen und das Gleichgewicht bewahren, und dadurch das direkte Handeln des Schöpfers an seinem Geschöpf und die Antwort des Geschöpfes an seinen Schöpfer und Herrn zulassen.“
Für mich sind diese Worte des großen Heiligen, der den Katechismus der Katholischen Kirche nach der Reformation geprägt hat, von großer Bedeutung. Sie sind von prophetischem Charakter. Sie lassen Gott Gott sein. Für diese Worte zählt nichts außer dem Willen Gottes! Ignatius macht ganz deutlich, dass der Wille Gottes nicht in den Grenzen irgendeiner sichtbaren Institution oder einer weltlichen Autorität eingesperrt sein kann. Und dies ist auch der Kern von Jesu Botschaft, die wir im heutigen Evangelium lesen.
Unsere Einstellung zu denen, die sich außerhalb der sichtbaren Kirche befinden
Im Anschluss an diese Überlegungen müssen wir uns fragen: Wie ist unsere Einstellung zu den Menschen, die sich außerhalb der Grenzen der sichtbaren Kirche befinden? Dieses umfasst die Menschen, die wir herabsetzend als ‘Heiden, als areligiös, als Protestanten, als unkirchlich’ bezeichnen. Wir sollten uns daran erinnern, was die Kirche selbst in dieser Hinsicht gesagt hat. Eine typische Aussage ist diese: „Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer nur Gott bekannten Weise verbunden zu sein“ (Gaudium et Spes, Nr. 22).
In diesem Sinne wäre es eine Zumutung, wenn wir als Menschen zu sagen wagten, jemand sei gerettet oder er sei es nicht. Was wir sinnvoll tun können ist, mit anderen unsere eigene Erfahrung mit Gott zu teilen. Und wir können uns Zeit nehmen und mit Achtsamkeit ihr Leben betrachten und staunend wahrnehmen, auf wie wunderbare Weise Gott auch in ihrem Leben wirkt. Ja, „Gott macht keine Unterschiede! Er liebt alle Menschen, ganz gleich zu welchem Volk sie gehören, wenn sie ihn nur ernst nehmen und nach seinem Willen leben“ (Apg 10, 34-35).
Sahaya G. Selvam, sdb
Nairobi, 30. September 2012
Übersetzung Alfons Nowak