Sie gingen mit… und blieben bei ihm (Joh 1, 35-42)

Sie gingen mit… und blieben bei ihm (Joh 1, 35-42)

2. Sonntag im Jahreskreis B

Nach dem berühmten Prolog des Johannes-Evangeliums (1, 1-18) beginnt der Evangelist eine wohldurchdachte Erzählung über die Neue Schöpfung. Sie erstreckt sich über sieben Tage (1, 19-2, 12). In ihr erzählt er die die Begegnung verschiedenen Menschen mit Jesus und wie sie in die­sen Begegnungen Leben finden (20, 31).

 Tag 1: Die Erwartungen an Johannes den Täufer, Enttäuschung: ‘Ich bin es nicht’ (1, 19-28).

Tag 2: Johannes begegnet Jesus. Er weist auf die Jesu Taufe hin. Den Schwer­punkt der Erzäh­lung bildet das Erleben des Johannes (1, 29-34).

Tag 3: Der Tag der Offenbarung von Jesu Identität, der Tag der ‘Erscheinung des Herrn’. Johan­nes sagt es Andreas und seinem Begleiter. Diese folgen Jesus und bleiben bei ihm. Andreas bringt seinen Bruder Simon zu Jesus (1, 35-42).

Tag 4: Jesus begegnet Philippus; Philippus bringt Nathanael zu Jesus (1, 43-51).

Tag 5 und 6: Es herrscht Stille (Analogie zur Totenruhe Jesu?), Vorbereitung für das große Finale.

Tag 7: „Am dritten Tag“ nach diesen Ereignissen folgt die Hochzeit zu Kana. Jesus offenbart seine Herrlichkeit einer größeren Öffentlichkeit. Seine Mutter ist anwesend! Hier ist der neue Adam. Hier ist die neue Eva. Aus Leere wird Fülle. Aus Wasser wird Wein. Ein Fest wird gefeiert. Die neue Schöpfung ist da. Durch eine symbolische Handlung wird das öffentliche Wirken Jesu angekündigt (2, 1-12; ähnlich wie in Lk 4, 14-21).

Auf dieses Evangelium, die Geschichte der Begegnung Jesu mit seinen ersten beiden Jüngern, lässt sich gut das Muster anwenden, wie ich es schon an anderer Stelle dargestellt habe, das Mus­ter des ‘Christlichen Lebensweges’. Der Sinn des christlichen Lebens liegt nach meiner Überzeu­gung darin, Gott zu erfahren und zwar in der Person Jesu Christi. Der Weg dorthin und das Leben aus der Frucht dieser Erfahrung ist ein lebenslanger Prozess. Ich nenne ihn den ‘Lebensweg des Christen’. Sieben Stufen kann ich auf diesem Weg erkennen:

1. Gewahrwerden eines  inneren Durstes

2. Hinweise, Zeichen

3. Suche

4. Einladung

5. Begegnung

6. Verwandlung

7. Bekenntnis und Sendung

1. Durst: Die zwei Jünger, Andreas und sein Begleiter, waren Jünger von Johannes dem Täufer (1, 35). Sie glaubten, dass es im Leben mehr geben müsse, als auf dem See Genezareth Fische zu fangen. Sie verließen eine florierende Fischindustrie, um etwas Tieferes zu finden. Sie folgten ihrem inneren Durst.

Die Samaritanische Frau kam zum Brunnen (Joh 4), weil sie durstig war. Zachäus wollte sehen, wer Jesus war (Lk 19). Dies ist der Durst, von dem ich spreche. Er ist mehr als Neugierde. Die Weisen (Mt 2, 1-11) kamen aus dem Osten, folgten einem Stern, weil in ihnen eine Sehnsucht war. Es gibt in jedem von uns einen inneren Durst, der uns herausfordert, die Begrenztheit unseres All­tags zu überwinden. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, wir sehnen uns alle nach einer größeren Macht über uns. Der Ursprung dieses Durstes liegt, ich glaube das, in der religiösen Wahrheit begründet, dass wir nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Da wir von Gott stammen, suchen wir unsere wahre Natur. Wir möchten uns mit der Quelle vereinen, aus der wir fließen. Dies ist auch der Beginn des Christliche Lebensweges. In den Psalmen wird dieses Verlangen und Dürsten immer wieder kraftvoll ausgedrückt: „Gott, du bist mein Gott, nach dir sehne ich mich. Ich sehne mich nach dir mit Leib und Seele“ (Ps 63, 1). „Wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so sehne ich mich nach dir, mein Gott. Ich dürste nach dir, dem lebendigen Gott. Wann werde ich dich sehen, Gott?“ (Ps 42, 1-2): „Dein Antlitz, o Herr, suche ich. Verbirg dich nicht vor mir“ (Ps 27, 9). Auch im Verlangen, als ‘Heiliger unter Heiligen’ im Tempel zu sein, kommt dieses Verlangen zum Ausdruck: „Ein Tag im Vorhof deines Tempels ist mehr wert als tausend andere“ (Ps 84, 11).

Dieser Durst kann uns fehlleiten – mit seiner Leere, in seiner Ruhelosigkeit. Wir können versu­chen, ihn mit Wohlstand, Vergnügen, Ruhm, Luxus… zu füllen? – Womit füllst du deinen Durst? – Aber worin findet man Befriedigung? Der Heilige Augustinus kommt zu der Erkenntnis, nachdem er seine Befriedigung in den Vergnügen dieser Welt gesucht hat: „Unsere Herzen sind für dich, Gott, gemacht, und sie sind ruhelos, bis sie ruhen in dir“.

2. Hinweise, Zeichen: Sieh! Der Gott, der den Durst in uns gelegt hat, hat uns Zeichen auf unse­ren Weg gestellt, als ob er sagen wollte, „Nimm diesen Weg, und du wirst Erfüllung finden“. Für die beiden wird Jünger Johannes der Täufer zu einem Wegweiser. Er ihnen zeigt, wo sie ihren Durst löschen können – „Seht, das ist das Lamm Gottes“ (1, 36). Auch auf unseren Wegen gibt es Hin­weise, Wegweiser – Ereignisse, Menschen, die uns zeigen, wo wir die Lösung vielleicht finden können. Aber man kann diese Zeichen leicht übersehen. Manche Hinweise sind schwach, andere scheinen in die falsche Richtung zu weisen. Kräftige Hinweise erscheinen uns dann wiederum unattraktiv und zu gewöhnlich zu sein. Es ist Glaube nötig, um die Zeichen zu erkennen. Wir brau­chen eventuell auch Menschen, die uns schon ein Stück voraus sind, geistliche Übungen, die uns helfen, damit wir auf unseren Weg gelangen. In der heutigen ersten Lesung (1 Sam 3, 3-10) wird Eli derjenige, der dem jungen Samuel, den entscheidenden Hinweis gibt, damit er Gottes Stimme erkennt. Die Bibel, die Gemeinschaft der Glaubenden, unsere eigene Geschichte können zu Hin­weisen für uns werden.

3. Suche: Was sucht ihr? Die beiden Jünger hörten, was Johannes sagte und folgten Jesus. Je­sus wandte sich um, sah sie ihm folgen und sagte, ‘Was wollt ihr?’ (1, 37-38). Für mich ist das die alles entscheidende Frage: „Was sucht ihr?“. Jesus sagt: „Sucht, und ihr werdet finden“ (Lk 11, 9). Das ist die wesentliche Frage: Was suche ich? Warum stehe ich morgens auf? Was sind meine tiefsten Wünsche? Was kann meinen inneren Durst wirklich löschen? Die Unfähigkeit, sich selbst auf diese Fragen angemessen zu antworten, kann in vielen Fällen, so glaube ich, die Ursache für spirituelle Austrocknung, für Burnout, Stress und auch für psychische Krankheit sein.

Jesu Frage ist also eine Einladung zu Selbsterkenntnis: Wer bist du tief in dir wirklich? Selbstwahr­nehmung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Gotteserfahrung. Da ich nach dem Bild Gottes  geschaffen wurde, komme ich mit Gott in Kontakt, wenn ich mit meinem tiefsten Selbst in Kontakt komme. Den Jüngern war bewusst, dass es der Messias war, nachdem sie sich im tiefsten Herzen sehnten.Gott selbst war es, der auf tiefere Weise in Jesus ihren Durst löschen konnte. Und so ant­worten sie auf Jesu Frage mit einer passenden Frage: „Rabbi, wo wohnst du?“ (1, 39), als ob sie sagen wollten: „Du bist es, den wir suchen!“

4. Die Einladung: Kommt und seht! Gott zu suchen, ist die Antwort des Menschen auf den inne­ren Durst. Es ist die Entscheidung des freien menschlichen Willens. Was aber danach geschieht ist Gnade Gottes. Suchen ist menschlich, Finden ist göttlich. Unsere Erfahrung Gottes ist alleine Gnade. Allerdings, das glaube ich fest, ist sie ohne Unterschied jedem zugänglich. Am Menschen liegt es, auf die Gnade zu antworten.

Jesu Antwort auf die Frage der Jünger, „Wo wohnst du?“, ist keine Information über seine Adresse, in welcher Straße Nazareths er wohnt. Seine Antwort ist eine Einladung, eine Einladung, ihn ken­nenzulernen. Im Buch der Chroniken ermahnt David seinen Sohn Salomon, „Wenn du ihn suchst, lässt er sich finden“ (1Chron 28, 29b).

Die Grundlage meines christlichen Glaubens war in meiner Kindheit und Jugendzeit im Wesentli­chen mein Wissen über den Glauben – ein intellektuelles Geschehen. Ich war stolz auf das viele Wissen. Aber darin lag auch ein Irrweg. Vielleicht musste ich ihn gehen, aber ich hätte mich auf ihm auch festfahren können. Im Leben eines Christen geht es nicht darum, sich immer wieder be­stimmte Glaubenswahrheiten in die Erinnerung zu rufen, es geht um Erfahrung. Es geht um per­sönliche Erfahrung – und diese wird häufig durch Gemeinschaft vermittelt!

5. Die Begegnung: Die Christus-Erfahrung: Sie kamen, sahen und blieben. Das ist das Ziel des Christlichen Lebensweges – bei ihm zu bleiben (1, 39). Johannes erwähnt ein Detail über die Zeit: es war vier Uhr nachmittags. Das bedeutet, dass sie die ganze Nacht bei ihm blieben. Der Evangelist Markus fasst die Bedeutung von Jüngerschaft so zusammen: „Er wählte zwölf aus, die ihn von jetzt ab begleiten und zur Verkündigung ausgesandt werden sollten“ (Mk 3, 14). Jünger sein heißt Jesus begleiten. Bei ihm zu sein, ist das Wesen eines Jünger Jesu.

 Es wird nicht beschrieben, was geschah, als die Jünger bei Jesus waren. Die Erfahrung Gottes in der Person Jesu ist zu groß, um beschrieben werden zu können. Sie widersteht menschlicher Sprache. In den Geschichten der Evangelien ist es häufig so, dass die Begegnung selber nicht im Detail beschrieben wird. Es gibt nur ein Vorher und ein Nachher. Und die Früchte der Erfahrung Gottes in Jesus sind deutlich zu erkennen.

6. Verwandlung: Die meisten Begegnungen mit Jesus beschreiben die Bekehrung in Begriffen wie Selbst-Verwandlung der Person und Abschwören, Verzichten. Ein typisches Beispiel ist die Bekehrung des Saulus (Apg 9). Die Weisen öffnen ihre Schätze, nachdem sie Jesus begegnet sind „und kehrten auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück“ (Mt 2, 12). Petrus´ erste Reaktion auf die Begegnung mit Jesus war ein Gefühl, wertlos zu sein. Jesus versichert ihm, dass sein Weg erst begonnen hat, dann „brachten sie ihre Boote an Land, verließen alles und folgten ihm“ (Lk 5, 4-11). Zachäus´ drückt seine Erfahrung in dem Entschluss aus (Lk 19, 8): Ich will die Hälfte meines Vermögens den Armen geben – der Entschluss, gut zu sein – und wenn ich jemanden betrogen habe, will ich es wieder gut machen – der Entschluss, gerecht zu sein.

 7. Sendung und Bekenntnis: Andreas brachte Simon zu Jesus. Der Erfahrung von Jesus folgt eine Bekehrung, und ein Ausdruck dieser Bekehrung ist die Teilnahme an Christi Sendung (1, 44). „Als erstes suchte Andreas seinen Bruder und sagte zu ihm, ‘Wir haben den Messias gefunden’ – das bedeutet Christus – und er brachte Simon zu Jesus“ (1, 41-42a). So weitet sich die Einladung Jesu, ‘Kommt und seht’, zu einem Chor aus.

  Die Sendung kann sich in Handlung äußern (siehe Stufe 6) oder in einem Bekenntnis. Gute Nach­richten sind ansteckend in positivem Sinn. Maria eilt aus Nazareth zu Elisabeth, um die Gute Nachricht mit ihr zu teilen (Lk 1, 41). Die zwei Emmaus-Jünger, die am Auferstehungstag von Jeru­salem weggerannt waren und Jesus beim Brotbrechen erkannt hatten, „machten sich unverzüglich auf und kehrten nach Jerusalem zurück“ und erzählten den anderen, „Wir haben den Herrn gese­hen“ (Lk 24, 13-35). Die Samaritanische Frau am Brunnen wird von ihren Wunden geheilt, ihr inne­rer Durst ist gestillt, „und sie setzte ihren Krug ab, eilte in die Stadt und erzählte den Leuten, ‘Kommt und seht den Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe. Kann das Christus sein?’ (Joh 4, 28-29).

Auch wenn die Begegnung mit Jesus so überwältigend ist, dass menschliche Worte nicht ausrei­chen, um diese Erfahrung zu beschreiben, so wird dennoch der, der Jesus erfahren hat, die ande­ren einladen, auch zu der Quelle des Wassers zu kommen, die allen Durst löschen kann. Anders ausgedrückt, die Verkündigung des Evangeliums bedeutet, ein Bettler sagt dem anderen, wo er zu essen bekommen kann!

Wo befindest du dich auf deinem Christlichen Lebensweg? Die oben genannten Schritte sind nicht unbedingt Stufen einer linearen Entwicklung. Es gibt Wiederholungen, das ganze ist ein immer neues Geschehen, und auf jeder Stufe können wir steckenbleiben. Die entscheidende Frage aber bleibt: Bist du dir bewusst, auf diesem Weg zu sein? Bist du auf diesem Weg?

Sahaya G. Selvam, sdb

London, 15. Januar 2012

 Übersetzung Alfons Nowak