Aus Anlass des Beginns des Jahres des Glaubens, das vom 11. Oktober 2012 bis zum 24. November 2013 begangen wird, stellt Pater Selvam einige Reflexionen zum Glauben vor. Er sieht den Christlichen Glauben als ein Geschehen, das vom übernommenen Glauben (1) über die persönliche Glaubensaneignung (2), das Leben aus dem Glauben (3) und seine Feier (4) zur Glaubensweitergabe (5) reicht und sich dann in einem anderen Menschen wiederholt.
Der Papst erklärt in seinem Rundschreiben Porta Fidei das Ziel des Jahres des Glaubens so: „Den Inhalt des Glaubens, wie er bekannt, gefeiert, gelebt und gebetet wird, neu zu entdecken“ (Nr. 9). „Es reicht nicht, den Inhalt des Glaubens zu wissen. Das Herz, der ganz persönliche geheiligte Raum im Innern der Person, muss sich für die Gnade öffnen, damit die Augen das Geschehen unter der Oberfläche wahrnehmen können, und der Mensch verstehen kann, dass es das Wort Gottes ist, was verkündet wird“ (Nr. 10).
1. Der übernommene Glaube (Glaube als Geschenk)
Wir sind Christen, weil jemand seinen Glauben mit uns geteilt hat. Wahrscheinlich sind die meisten von uns in eine christlichen Familie hinein geboren worden, die Eltern haben uns ihren Glauben in der Taufe weitergegeben und uns christlich erzogen. Ich selbst bin auch in einer christlichen Familie geboren. Unser Dorf war zu 100% katholisch. Meine Vorfahren waren bereits seit mindestens 500 Jahren Christen. Ich bin Gott dankbar für die Geburt in eine christliche Familie. Durch den Einfluss meiner Familie wollte ich Priester werden, seitdem ich denken kann. Das heißt aber nicht, dass ich damals verstand, was Christlicher Glaube bedeutet, geschweige denn, dass ich wusste, was es bedeutet, Priester zu sein. So oder ähnlich begann für die meisten von uns unser Christlicher Lebensweg.
‘Übernommener Glaube’ bedeutet auch, dass dieser empfangene Glaube ein Geschenk ist – Gnade von Gott. Paulus schreibt an die Epheser (2, 8-9): „Durch Gnade seid ihr gerettet, durch euren Glauben. Nicht aus euch heraus, sondern durch ein Geschenk Gottes. Nicht durch eigene Leistung, somit kann sich keiner etwas darauf einbilden.“ Der Papst schreibt in Porta Fidei: „Es besteht eine tiefe Einheit zwischen dem Akt des Glaubens und dem Inhalt, zu dem wir unsere Zustimmung geben. Der erste Schritt, durch den man zum Glauben kommt, ist Gottes Geschenk, eine Tat der Gnade, die im Innern der Person wirkt und diese tief verändert“ (Nr. 10)
2. Der persönliche Glaube (Glaube als Gotteserfahrung)
Wir bleiben in der Gemeinschaft der Christen, weil wir die Erfahrung machen, dass wir hier die Möglichkeit haben, ‘unser Verlangen nach Gott’ (CIC Nr. 27) zu stillen. Wir sind in der Lage, unseren inneren Durst zu befriedigen. Zu wirklichen Christen werden wir, wenn der Glaube, den wir übernommen haben, zu einem persönlichen Glauben wird. Der Papst schreibt: „Das Glaubensgeschehen hat eine persönliche und eine gemeinschaftliche Seite.“
So wie Jesus die Jünger immer wieder eingeladen hat, lädt er auch uns zu einer persönlichen Erfahrung Gottes ein in seiner Person. Zu den ersten beiden Jüngern sagte er, „Kommt und seht“ (Joh 1, 39), und die Apostel fragte er, „Wer, meint ihr, bin ich?“ (Mk 8, 27-35). Uns heute sagt er: ‘Ihr habt so viele Predigten von vielen Menschen über mich gehört; ihr kennt euren Katechismus gut; ihr habt viele Gebete gelernt; und ihr besucht regelmäßig den Sonntagsgottesdienst, aber ‘Wer, meint ihr, bin ich?’
In meiner Muttersprache gibt es ein Sprichwort, das heißt: „Man kann nicht mehr tun, als die Kuh zum Wasser zu bringen.“ Wenn sie dann zum Wasser gebracht wurde, ist es ihre Sache zu trinken. Unsere Eltern, unsere Lehrer, die Kirche können nicht mehr tun, als uns zum Wasser des Lebens zu bringen. Gott kann uns seine Gnade nur anbieten. Wir müssen die persönliche Entscheidung treffen, seine Gnade anzunehmen. Es liegt an uns, es is ein Akt der freien Entscheidung. Wie die drei Weisen müssen wir uns entscheiden, ob wir dem Stern folgen wollen (Mt 2, 1-11). Wie Zachäus (Lk 9, 1-11) müssen wir entscheiden, ob wir auf den Baum klettern, um Jesus zu sehen. Oder wie die Apostel und die Jünger müssen wir entscheiden, ob wir Jesus nachfolgen. In der Offenbarung (3, 20) sagt Gottes Geist, „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer von euch meine Stimme hört und mir öffnet, zu dem werde ich eintreten und mit ihm Mahl halten.“ Wenn wir einmal die persönliche Erfahrung Jesu gemacht haben, dann sind wir wie Paulus in der Lage zu sagen, „Leben bedeutet für mich Christus“ (Phil 1,21).
3. Der gelebte Glaube (Glaube durch das Leben bezeugt)
Unser Christliche Glaube wird uns gegeben, wir empfangen ihn. Zu einer persönlichen Aneignung kommt es durch die Erfahrung Gottes in der Person Jesu. Wir leben diesen Glauben, wir bezeugen ihn. Das Griechische Wort für Zeuge ist ‘Martyrion’. Ein Märtyrer ist also nicht notwendigerweise jemand, der für seinen Christlichen Glauben stirbt, sondern jemand, der seinen Glauben lebt, auch wenn das Unbequemlichkeiten, besondere Anforderungen und auch Leiden mit sich bringen sollte.
Wir leben heute in einer säkularisierten Welt, und die Worte aus dem Buch der Weisheit treffen manchmal auf uns zu: „Der Gottlose sagt zu sich, ‘Lasst uns Lügen verbreiten über den Gerechten, denn er stört uns, er steht uns im Weg…“ (Weis 2, 12). Diese Situation ist nicht einfach für uns, bedeutet aber auch die Chance, unseren Glauben zu vertiefen. In diesem Zusammenhang warnt Jesus uns, „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir“ (Mk 8, 34-35).
Dienen (auf Griechisch ‘Diakonia’) ist der konkrete Weg, unseren Christlichen Glauben zu bezeugen, Dienen im Sinne der Christlichen Nächstenliebe. So fährt Jesus fort: „Jeder, der ein Kind wie dieses hier aufnimmt um meines Willen, nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat“ (Mk 9, 37).
4. Gefeierter Glaube (Glaube, der in der Liturgie ausgedrückt und vertieft wird)
Unseren Glauben zu leben, heißt nicht, ständig durch ein ‘Tal der Tränen’ zu gehen. Glaube bedeutet zu feiern. Freude auszudrücken, ist ein Teil nahezu jeder liturgischen Feier und ganz besonders der Eucharistie. Die ersten Christen kamen zusammen, um die Auferstehung des Herrn zu feiern, dabei hörten sie das Wort der Schrift und brachen miteinander das Brot (Apg 2, 42; 20, 7; 1 Kor 10, 16-17). Diese Zusammenkunft war eine Feier voller Freude (Apg 2, 46).
Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran, dass „die Eucharistie Quelle und Höhepunkt des Christlichen Lebens ist“ (Lumen Gentium, 11). Der Papst schreibt in seinem Rundschreiben, mit dem er das Jahr des Glaubens ausruft: „Wir hoffen, dass dieses Jahr in jedem Gläubigen das Bestreben wachsen lässt, seinen Glauben in Fülle und mit neu gewonnener Überzeugung zu bekennen. Es ist ebenfalls eine gute Gelegenheit, die Feier des Glaubens in der Liturgie, besonders aber in der Eucharistie zu intensivieren“ (Nr. 9).
5. Der verkündete Glaube (Kerygma)
Die Erzählungen in den Evangelien berichten konstant davon, dass diejenigen, die Jesus begegnet waren, sofort zu Botschaftern dieser Guten Nachricht wurden. „Das erste, was Andreas tat, nachdem er bei Jesus geblieben war, war, seinen Bruder zu suchen und ihm zu sagen, „Wir haben den Messias gefunden“, und er brachte Simon zu Jesus“ (Joh 1, 41-42a). Die Samaritanerin „stellte ihren Wasserkrug ab und eilte zurück in die Stadt, um den Menschen zu sagen, ‘Kommt und seht diesen Mann. Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. Könnte das der Christus sein?’“ (Joh 4, 28-29). Die beiden Jünger, die auf dem Weg nach Emmaus waren, und den Herrn beim Brotbrechen erkannt hatten, „machten sich auf der Stelle auf den Weg und kehrten nach Jerusalem zurück. (Dort)… erzählten sie ihre Geschichte, was sich auf dem Weg ereignet hatte und wie sie ihn beim Brotbrechen erkannt hatten“ (Lk 24, 33-35). Die Einladung Jesu, „Kommt und seht“, hat eine starke Ansteckungskraft.
Ähnlich äußert sich Paulus: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünden würde“ (1 Kor 9, 16; auch Röm 10, 14-15). Jemand hat einmal gesagt, das Verkünden des Evangeliums ist so, als ob ein Bettler einem anderen Bettler erzählt, wo es Brot zu finden gibt. Verkünden heißt einfach, anderen davon zu erzählen, wie der Christliche Glaube mir Freude und Hoffnung gegeben hat und sie einzuladen, dieselbe Hoffnung zu suchen und zu finden. Indem wir unseren Glauben bekennen, kann ihn ein anderer empfangen, und der Kreislauf des Glaubens kann weitergehen. Gott bietet durch uns sein Geschenk des Glaubens weiter an.
Im Johannes-Evangelium findet sich am Ende der Geschichte der Samariterin (Kap 4) ein sehr bezeichnendes Bild davon, wie sich der Kreis des Glaubens schließt. Die Menschen des Dorfes, die die Einladung der Frau gehört haben, „Kommt und seht den Mann, der mir alles gesagt hat“, und ihr gefolgt sind, kehren am Ende der Geschichte zu der Frau zurück und sagen ihr: „Jetzt glauben wir nicht länger, weil du es uns erzählt hast. Wir haben ihn selbst gehört, und wir wissen, dass er der Retter der Welt ist“ (Joh 4, 42). Würden wir denen, die uns den Glauben gebracht haben, wenn sie zurückkehren könnten, eine ähnliche Auskunft geben?
Möge das Jahr des Glaubens uns helfen, unseren Glauben wieder zu entdecken, ihn neu zu erfahren, ihn in unserem Leben zu bezeugen und zu feiern und ihn an andere weiterzugeben.
Sahaya G. Selvam, sdb
7. Oktober 2012
Übersetzung Alfons Nowak