Gott ist ein Spieler!

Gott ist ein Spieler! Mit mir riskiert er einiges.

33. Sonntag im Lesejahr A

Spr 31, 10-13, 19-20, 30-31; 1 Thess 5, 1-6; Mt 25, 14-30

 Vor kurzem wartete ich am Flughafen London-Heathrow darauf, an Bord zu gehen. Durch die allgegenwärtige Angst vor Terrorismus ist das Fliegen anstrengend geworden, und ich musste meine Wasserflasche bei der Sicherheitskontrolle abgeben. Um den langen Flug zu überstehen, brauchte ich eine neue Flasche, die ich mir an einem Kiosk im Sicherheits­bereich kaufen wollte. Ich nahm eine 1-Liter-Flasche, die mit 1, 20 Pfund ausgezeichnet war. An der Kasse erklärte mir die Verkäuferin mit einem Lächeln: „Wir haben heute ein besonderes Angebot. Wenn sie die ‘Times’ kaufen, ist das Wasser für sie umsonst, und sie bezahlen nur 1 Pfund.“ Ist das eine Methode, um die Leute zum Zeitungslesen zu bringen, ging mir durch den Kopf. Wer kann bei so einem verlockenden Angebot widerstehen! Ich nahm es natürlich an, obwohl mir in diesen frühen Morgenstunden nicht nach Zeitungsle­sen zumute war. Während ich wartete, an meinem Wasser nippte und versuchte, mich auf die Zeitung zu konzentrieren, überlegte ich: Ist das jetzt die gute Seite des Kapitalismus?

Das Reich Gottes ist wie

Jesus überrascht uns immer wieder mit Geschichten, die eine aktuelle Sprache sprechen. Im heutigen Evangelium scheint es, als ob er über die besonderen Gesetze des Marktes spricht, sich mit Investitionen, Zinssätzen und Aktien auskennt, so dass ihn seine Jünger, für die dieses Gleichnis bestimmt ist, glatt für einen Investment-Banker halten könnten.

Von einem solchen Verständnis her könnte man verführt sein, anhand dieses Evangeliums über moderne Unternehmensphilosophie zu predigen. Versteht man dieses Gleichnis aber im Zusammenhang der Botschaft Jesu, dann wird klar, dass es hier nicht um Materielles geht. „Das Reich Gottes ist wie…“ (Mt 25, 14), so sagt es der Beginn des Evangeliums selbst. Auch geht es nicht um unsere Talente, um besondere Begabungen für Musik, freie Rede oder Organisation. Das Wort ‘Talente’ sollte uns nicht irreführen.

Auch wenn man mir vorhält, ich würde immer nur von ‘Spiritualität’ sprechen, so schlage ich dennoch folgende Deutung vor: In diesem Evangelium geht es um die Angebote, die Gott uns macht, mit ihm in Beziehung zu treten und dass wir dadurch, dass wir mit ihm Kontakt haben, zu Mitgefühl mit unseren Mitmenschen fähig werden. Wie gehen wir mit diesen Angeboten um, das ist hier die Frage? Paulus zählt an verschiedenen Stellen die Gaben des Geistes auf. „Die Gaben des Geistes,“ sagt er, „sind Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Nachsicht und Selbstbeherrschung… (Gal 5, 22-23; ebenso 1 Kor 12, 12f und Kol 3, 12). Der 2. Petrus-Brief fasst dies alles zusammen, indem er die praktischen Konsequenzen dieser Gaben betont. „Setzt deshalb alles daran, mit eu­rem Glauben Charakterfestigkeit zu verbinden, mit der Charakterfestigkeit die Einsicht; mit der Einsicht die Selbstbeherrschung, mit der Selbstbeherrschung die Standhaftigkeit, mit der Standhaftigkeit die Ehrfurcht vor Gott, mit der Ehrfurcht vor Gott die Liebe zu den Brü­dern und mit ihr die Liebe zu allen Menschen.“ Und er schließt daraus. „Wenn ihr dies al­les habt und ständig darin zunehmt, seid ihr davor bewahrt, dass eure Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus unfruchtbar und unwirksam ist“ (2 Petr 1, 5-8).

Um diese Gaben geht es im heutigen Evangelium. Und sie sind auch die ‘Talente’, mit de­nen Gott spielt. (Selbstverständlich sind diese Gaben, als spirituelle und im Menschen an­gelegte, für die Beziehung zu den Menschen um uns herum von großer Bedeutung. Sie bewirken, dass es in unserer Welt Vorstellungen von Sinnhaftigkeit und Wohlergehen gibt. Das ist auch das Thema meiner Forschungen im Rahmen der Psychologie der Religion und der Positiven Psychologie.)

In unserem Gleichnis bekommt jeder nach seinen Fähigkeiten (Mt 25, 15), und dies auf eine sehr freigebige Weise. Ein ‘Talent’ war keine kleine Summe, kein bloßes Almosen. In der Literatur finden sich Angaben, dass ein Griechisches Silbertalent neun Jahreseinkom­men eines ausgebildeten Arbeiters entsprach, das heißt dem Lohn für 6.000 Tage Arbeit. Ein Talent Gold war noch wesentlich mehr wert, vielleicht 20 Jahreseinkommen. Sollte das nicht auch für uns Grund sein, über die Gaben nachzudenken, mit denen Gott uns über­reich beschenkt hat (2 Petr 1, 3; 1 Joh 3, 1)? Paulus sagt im 1. Korinther-Brief dazu: „Wir haben aber nicht den Geist dieser Welt erhalten, sondern Gottes eigenen Geist. Darum kön­nen wir verstehen, welch reiche Gaben Gott uns geschenkt hat“ (1 Kor 2, 12).

Gott der Spieler

Indem der Herr die Knechte mit seinem Vermögen ausstattet (Mt 25, 14), macht er aus ih­nen Selbständige. Sie sind nicht länger Knechte, sondere eigene Herren. Aber überneh­men sie damit auch die entsprechende Verantwortung?

Ich finde es immer interessant, die Matthäus- und die Lukas-Version eines Gleichnisses oder auch verschiedene Gleichnisse eines Evangeliums zu vergleichen. Ich finde, dieser Ansatz führt zu neuen Einsichten, wie ein Gleichnis gedeutet werden kann. So wäre es in­ter­essant, dieses mit der Lukanischen Version des Gleichnisses vom anvertrauten Geld zu tun (Lk 19, 11-27). Es gibt sehr interessante Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede.

Ich würde an dieser Stelle aber lieber einen Vergleich anstellen mit dem Gleichnis vom Sä­mann (Mt 13, 3-9; Lk 8, 5-8). In beiden Gleichnissen geht der Herr Risiken ein, wenn er seine Angebote macht. Einmal sind die Menschen verschieden. Dann sind es die Böden, die unterschiedlich geeignet sind, die Saat aufzunehmen. Auf die Antworten kommt es an. Im heutigen Evangelium wird der ‘unzuverlässige und faule’ Knecht ein Opfer seiner le­thargischen Lebenseinstellung und seiner engstirnigen Beurteilung seines Herrn (Mt 25, 25-26). Auch mit diesem Wissen, dass es diese Reaktionen geben wird, bleibt der Herr großzügig. Trotz der schwierigen Bodenverhältnisse hört der Sämann nicht auf zu säen!

Die dahinter stehende Botschaft möchte ich so zusammenfassen. Gott ist ein Spieler. Er nimmt die Risiken mit mir in Kauf. Ich bin es, der Antwort geben muss. Frucht zu bringen, ist keine Reaktion auf Furcht vor Strafe. Frucht zu bringen, ist das Ziel und der Sinn mei­nes Lebens. Darin wird Gott verherrlicht!

Wir sagen, Gott schenkt seine Liebe ohne Bedingungen. Das ist wahr. Und doch glaube ich, dass es eine Bedingung gibt: nämlich unser Glück, unser Wohlergehen! Das erwartet Gott und darüber freut er sich. Muss man für sein Wohlergehen nicht manchmal Risiken auf sich nehmen? Und heißt das nicht auch, „sich auf die Tiefe einlassen“ (Lk 5, 4)?

Sahaya G. Selvam, sdb

London, 13. November 2011

Übersetzung Alfons Nowak