Für mehr Einfachheit und Tiefe
31.Sonntag im Lesejahr A
Mal 1, 14-2, 2; 8-10;1 Thess 2, 7-9, 13; Mt 23, 1-12
Ich hatte einen Traum. Ich bestehe darauf: Es war nur ein Traum.
Rauch stieg aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle des Vatikans auf. „Habemus Papam,“ wurde verkündet. Dann sah ich den neuen Papst an seinem Fenster stehen. Er sah ganz normal aus: Überhaupt kein Purpur war an ihm. Er trug normale Kleidung, keinen Ring an seinem Finger, keine Mitra auf seinem Kopf. Nur ein einfaches Kreuz hing um seinen Hals. Als der Jubel der Tausenden, die sich auf dem Peters-Platz versammelt hatten, verstummt war; als die Leitungen standen, die die Bilder in die Millionen Haushalte auf der ganzen Erde sandten, erschien der Papst in Großaufnahme und begann zu sprechen: „Einfachheit und Tiefe“, sagte er mit Nachdruck, „darum bete ich für mich, für euch, für die ganze Kirche und für alle Menschen guten Willens.“ Er fuhr fort mit einer kurzen Betrachtung dreier Bibelstellen, die sich alle mit Einfachheit und Tiefe befassen: Lk 5, 4; Mk 6, 8 und Lk 6, 48: Die Medien reagierten verhalten auf den neuen Papst. „Wir wollen abwarten, was für Überraschungen noch auf uns zukommen.“
Nach einer Woche meldeten die Medien, der Papst habe eine Kommission gebildet, die sich damit befassen soll, was mit den Schätzen des Vatikans passieren könne. Aus dem Klerus hörte man als Kommentar: „Er hat keinen Sinn für Kultur und Kunst“. In der Woche darauf gab es eine erneute Meldung. Eine Studie solle Antwort darauf geben, ob der Vatikan weiter ein politischer Staat bleiben soll. Da hieß es: „Er hat keinen Sinn für historische Zusammenhänge.“ Die Botschaften des neuen Papstes beim täglichen Angelus-Gebet konzentrierten sich auf die Erfahrung Gottes in Jesus. Er sprach über Christliche Spiritualität, nicht über Dogmen, Kirchenrecht oder Vorschriften. Die Reaktionen auf ihn waren sehr gemischt!
Ich schreckte aus meinem Schlaf auf und wusste: Das war nur ein Traum!
Einfachheit: Der Größte unter euch soll euer Diener sein (Mt 23, 11)
Im heutigen Evangelium und im ganzen 23. Kapitel sammelt Matthäus Jesu kritische Aussagen über die religiösen Führer seiner Zeit. Man kann diese Kritik als rein historisch auffassen, auf die religiösen Autoritäten seiner Zeit bezogen. Man kann sie aber auch existentiell deuten: Nicht nur auf die religiösen Führer unserer Zeit, sondern auf alle Mitglieder unserer Kirche beziehen. Wenn man im heutigen Evangelium die Sorge des Matthäus um die Christliche Gemeinde seiner Zeit erkennt, was Führung und Verantwortlichkeit angeht, dann kann das Wort Gottes für uns heute lebendig werden.
Erst einmal: Jesus erkennt die Bedeutung religiöser Führerschaft in einer gläubigen Gemeinschaft an. Es gilt, dass der Lehre der Schriftgelehrten und Pharisäer zu folgen ist, während ihr Verhalten aber nicht nachgeahmt werden soll (Mt 23, 2-3). Da ihre Taten nicht ihren Worten entsprechen, steht Jesus ihrer Lehre allerdings sehr kritisch gegenüber. Er nennt sie blind, die andere führen wollen (Mt 23, 24, 26) und gebraucht eine sehr harte Sprache, die man von Jesus sonst nicht kennt. Er warnt seine Jünger, sich vor dem Sauerteig zu hüten, nicht dem des Brotbackens, sondern dem der Lehre der Pharisäer und Sadduzäer“ (Mt 16, 12 sowie Mt 23, 13-35).
Im heutigen Evangelium fordert Jesus durch die Worte des Matthäus die religiösen Führer seiner Zeit und die heutigen Leiter unserer Kirche zu Einfachheit auf. Einfachheit, negativ gefasst, kann definiert werden als Abwesenheit von ungesunden Neigungen – Beispiele finden sich im gesamten 23. Kapitel:
- Heuchelei: Das eine sagen, das andere tun (Mt 23,2f, Verse 14 und 25).
- Die eigene Schwäche und den Mangel an Tiefe verteidigen, indem man auf der peinlichen Beachtung aller Vorschriften besteht. Durch die Argumentation mit hochtrabender Theologie und Philosophie.
- Mangal an Mitgefühl für andere Mitglieder der Gemeinde zeigen. Sie durch unangebrachten Gehorsam überfordern (Mt 23, 4)
- Die Leitungsfunktion für den eigenen Stolz, zur Steigerung des eigenen Ego gebrauchen, sich zeigen und Aufmerksamkeit auf sich ziehen (Mt 23, 5). Die Führungsposition für den eigenen Vorteil nutzen (Mt 23, 6-7).
Wenn wir redliche Gewissenserforschung halten, merken wir, dass diese Neigungen unsere eigenen sind! Hier ist anzumerken, dass sich das heutige Evangelium an die Zuhörer Jesu und an seine Jünger richtete (Mt 23, 1). Ihnen legte er die Tugend der Demut nahe, was ich Einfachheit genannt habe. Einfachheit besteht darin, die eigene Identität nicht aus der Rolle abzuleiten, die man ausfüllt, nicht aus Titeln, die mit dieser Rolle verbunden sind (Mt 23, 8-10). Gerade in der Erfüllung von Leitungsaufgaben in der Kirche, kommt es darauf an, Gott als die höchste Instanz anzuerkennen, Gott den Vater
Tiefe: „Haben wir nicht alle einen Vater?“ (Mal 2, 10; und Mt 23, 9)
Die Tugend der Demut oder Einfachheit ist wünschenswert. Ich wünsche sie mir, aber sie stellt sich nicht so leicht ein. Was kann ich tun? Die heutige erste Lesung lädt ein, sich auf den Bund mit Gott, auf die Beziehung mit Gott dem Vater zu konzentrieren. Indem wir uns Gott demütig unterordnen, verwirklichen wir die Bestimmung unseres wahren Selbst, wie wir es in der Tiefe unseres Herzens wahrnehmen. Und damit sind wir auch zu Mitgefühl für andere in der Lage.
Indem ich in aller Tiefe wahrnehme, dass wir alle einen Vater im Himmel haben, gebe ich meine kleinlichen Ansprüche auf. In der tiefen Realisation, dass mein Selbstwert in Gott begründet ist, bin ich bereit, meine persönlichen Schutzzäune abzubrechen, die meine Unsicherheiten abschirmen sollen. In der tiefen Empfindung, dass ich von Gott geliebt bin, werde ich fähig zu einem tiefen Mitgefühl mit anderen.
Das ist die Gute Nachricht, Gottes Gute Nachricht (1 Thess 2, 9), die wir in der heutigen zweiten Lesung gehört haben. Ich kann demütig sein, weil ich tief gegründet bin. Unsere Christliche Kirche kann einfach sein, weil sie in Gott gegründet ist. Ist das nicht der einzige Grund für die Existenz der Kirche, dieses Evangelium Gottes weiter zu geben?: Wir alle haben einen einzigen Vater!
Sahaya G. Selvam, sdb
London, 30. Oktober 2011
Übersetzung Alfons Nowak