Der Kreuzweg Afrikas
Sahaya G. Selvam, SDB
Übersetzt von Karlklaus Klemme
I
Jesus wird verurteilt
Jesus wird auch heute noch zu Unrecht zum Opfer
Als die Menschen herbeikamen und Steine nach dir warfen,
fragtest du sie unerschrocken,
„Ich habe euch soviel Gutes getan,
für welche meiner Taten verurteilt ihr mich.“
Das war, als die Zeit noch nicht gekommen war.
Jetzt gibst Du auf ohne ein Wort;
denn es ist Zeit.
Du stehst da wie irgendein anderer Mensch.
Verdammt zu einem grausamen Tod.
Ecce Homo!
Du wirst fälschlich der Blasphemie und des Verrats beschuldigt.
Du wirst zum Opfer schlechter Religion und unrechter Politik.
Religion und Staat, die Bewahrer des menschlichen Individuums
haben Dich jetzt zu ihrem Opfer gemacht.
Ecce Homo!
Herr,
ich gedenke der Opfer
schlechter Religionen und schlechter Politik in Afrika,
der politischen Gefangenen, jener Bedrohten, Gefolterten und Ermordeten,
der Tausenden von Stimmen, unterdrückt
durch die grausamen Hände der Politik,
der Gefangenen in angstzentrierten Religionen,
der vom Hexenwahn gehetzten,
der von religiösen Führern Missbrauchten,
jener Tausenden von Herzen, die es nicht wagen Dich „Abba – Vater“ zu rufen.
Ecce Homo Africanus! – Sieh den Menschen in Afrika!
Ich weiß, dein Leiden steht nur stellvertretend für unser Leiden.
Hilf mir, Stimme der Stimmlosen zu sein.
Gib mir den Mut, meine Stimme zu erheben gegen
das Recht für sich beanspruchende Religionen und gesetzlose Politik.
II
Jesus nimmt das Kreuz auf sich
Sogar heutzutage legt man Jesus den Strick um den Hals
Herr,
Du nimmst das Kreuz auf Dich. Es wird Dir auferlegt. Es ist schwer.
Dein Körper schmerzt und möchte es ablegen.
Es ist beschämend.
Dein Herz rast, es möchte etwas tun.
Es ist so absurd.
Dein Verstand ist verwirrt, sucht nach einem Grund.
Du bist ein Opfer des Mobs.
„Kreuzige ihn!“
Es gibt kein Entrinnen. Sie lassen dich nicht gehen.
Du bist der „Sündenbock“
für ihre Unfähigkeit, Dinge in Ordnung zu bringen.
Die Sündhaftigkeit, in der sie leben,
gibt ihnen kein Gefühl der Gerechtigkeit,
es sei denn, sie machen einen Unschuldigen wie Dich zum Opfer.
Du bist wie ein Schaf, das zum Schlachten geführt wird.
„Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünden der Welt.“
Die Schuld des Mobs wird auf Dich geworfen:
„Kreuzigt ihn!“
Weka Tyre! „Hängt ihn auf!“
Choma! Verbrennt ihn!
Mwizi! Dieb!
Sie schlagen mit Knüppeln auf ihn ein,
prügeln ihn mit ihren rungus[1]
Sie skandieren im Chor, „Kreuzigt ihn!“
Choma! Choma! Verbrennt ihn!
Sie werfen ihm einen Reifen um den Hals, gießen Benzin hinein,
ein aufflammendes Streichholz genügt.
Er versucht davon zu rennen …
Doch das Feuer verschlingt ihn mehr und mehr.
Er wirft sich verzweifelt zu Boden.
Seine Hände können das Feuer nicht entfernen.
Seine inneren Organe beginnen zu bersten.
Er liegt da, zu Tode verkohlt, ohne Gesicht,
und doch sehen wir seinen Schrei nach Gerechtigkeit!
Seine Glieder kleben erstarrt zusammen,
und doch sehen wir eine Bewegung der Reue!
Seine Fäuste sind geballt,
heftig fragend „warum“?
Warum habt ihr mir das angetan?
Hat er eine Armbanduhr gestohlen,
oder jemandem die Tasche entrissen, oder ist er ein Taschendieb?
Ist er oder war er jemand anderes?
Wir wissen es nicht.
Wir werden es nie erfahren.
Wir haben uns nie darum bemüht.
Wir sind Opfer unserer eigenen Schuld,
mit der wir nicht fertig werden.
Dieser verkohlte, verunstaltete Leichnam ist unser Sündenbock.
Er trägt unsere Sündenlast.
Es sieht zumindest so aus!
Herr,
lehre mich, mit meiner Schuld umzugehen.
Lehre mich dem Mob fernzubleiben, der da schreit: „Kreuzigt ihn!“
Lehre mich mit dieser Sündenwelt fertig zu werden,
in der ich lebe.
Hilf mir herauszufinden,
wie meine eigenen Sünden
zu diesem Drachen gesellschaftlicher Sünden beitragen.
III
Jesus fällt zum ersten Mal unter der Last des Kreuzes
Jesus versagt auch heute
Herr,
du versagst.
Du wankst.
Du fällst.
Es ist mehr, als du erträgst,
die starrenden Gesichter,
die anklagenden Finger,
das höhnische Gelächter.
Du bist jung und voller Energie
und doch bist du schwach und hilflos.
Du hast ein Ziel,
doch es scheint weit weg und vage.
Du hast eine Mission,
doch die Vision verschwimmt im Nebel.
Die Schwäche,
verursacht durch die fehlende Unterstützung der Menschen, denen du vertraut hast.
Das Verschwommene,
verursacht durch das offensichtliche Fehlen ermutigender Erfolge.
Der Nebel,
verursacht durch den Staub der Menge um dich herum.
Du fällst!
Aber du weißt, das Leben muss weiter gehen –
Meilen zu laufen und Versprechen zu halten,
einer Vision gemäß leben
und eine Mission erfüllen.
Du setzt deinen Weg fort.
Herr,
ich denke an die Millionen junger Afrikaner, die zu Fall gekommen sind.
Sie haben nichts, was sie stützen wird.
Im Examen durchgefallen –
sie erreichten die geforderten Ergebnisse nicht –
„Ich bin zu nichts gut“, sagen sie.
Verraten durch das Vertrauen.
Ausgenutzt in Beziehungen –
„Ich glaube niemandem, nie mehr.“
Fehlende Chancen,
Fest gefahren in den Herausforderungen –
„Ich habe keine Zukunft.“
Arbeitslosigkeit.
Wettbewerb
Mittelmäßigkeit.
„Was nutzt das schon?“
Erdrückt von Traditionen.
Umhergeschubst von der Bürokratie.
Junge Menschen fallen, Herr.
Wir müssen unser Kreuz aufnehmen und dir nachfolgen.
Leiden hat einen Sinn in unserem Leben.
Du zählst nicht unsere Erfolge, Herr.
Du beobachtest die Stärke unseres Glaubens.
Es ist so wichtig, den richtigen Weg einzuschlagen.
IV
Jesus trifft seine Mutter
Mütter sind geschaffen stark zu sein, auch heute
Herr Jesus,
als du in dein Heimatdorf kamst
vor etwa drei Jahren,
erinnerst du dich, was sie sagten?
„Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria …?“ (Mk 6,3)
Du warst der Sohn einer Frau.
Du kanntest deinen Vater nicht!
Es war ebenso kränkend für dich … in deiner Kultur,
wie es in meiner Kultur ist.
Diese Frau ist jedoch stark.
Sie hat immer zu dir gestanden.
Sogar wenn deine Verwandten dachten,
du seiest von Sinnen.
Deine männlichen Freunde waren nirgends zu sehen.
Vielleicht gingen sie in der Menge unter …
Sicher war Johannes irgendwo in der Nähe.
Diese Frau aber, deine Mutter, Maria hält zu dir.
Sie geht mit dir.
Sie fühlt mit dir.
Sie ist stark.
Mütter sind geschaffen stark zu sein, Herr.
Diese einzelne Mutter an der Strasse da unten;
Ihr Mann ist eines Tages einfach verschwunden.
Aber sie … sie zieht ihre drei Kinder tapfer auf.
Sie ist stark, Herr.
Die andere Frau in unserem Dorf,
der erste Sohn in dieser Familie ist nicht ihr eigener.
Er wurde geboren bevor sie heirateten,
Doch sie macht keine Unterschiede.
Sie umsorgt alle gleich gut.
Sie ist stark, Herr.
Mama Fulani, sie hat sieben Kinder.
Neulich kam Vater Fulani nach Hause
mit zwei weiteren Kindern,
die man ihm nach einer Beerdigung mitgegeben hatte.
Ihre Eltern waren an AIDS gestorben.
Mama Fulani hat sie gerne aufgenommen.
Sie ist stark, Herr.
Herr, ich danke dir für meine eigene Mutter, die auch stark ist.
Herr, ich danke dir für deine Mutter, die jetzt auch meine ist.
Und sie ist immer stark an meiner Seite, Herr.
V
Simon von Cyrene hilft Jesus
Es gibt immer einen Simon, der zupackt, auch heute
Herr,
als du durch die Gassen Jerusalems gehst,
stehen die Starken nur da und gaffen.
Es ist ein Schwacher, der die Hand ausstreckt und zupackt.
Simon von Cyrene,
ein schwacher Bürger.
Ein Niemand.
Ein mwananchi![2]
Ein mlalahoi![3]
Er packt zu.
Er hilft.
Nur eine kleine Hilfe,
trotzdem bedeutend.
Er kommt von nirgendwo,
und doch weißt du, er ist da.
Ein Zuschauer.
Ein Durchreisender.
Ein Niemand.
Er hilft.
Als du über die staubigen Strassen Afrikas wankst, Herr
stehen die Starken nur da und gaffen;
der Schwache packt zu und hilft.
Der Arbeiter muss sich Geld leihen,
damit er sein sterbendes Kind ins Hospital bringen kann.
Sein Boss kann es ihm nicht geben,
aber seine armen Kollegen können ein harambee[4] auf die Beine stellen.
Als die hilflose Witwe in Trauer sitzt,
sind ihre Schwäger nur auf ihren Besitz versessen.
Ihre armen Nachbarn aber stehen
zur Totenwache um sie herum
und sitzen bei ihr um zu trösten.
Der reiche Mann kommt sonntags zur Kirche,
zur Kirche, gibt sein Opfer und geht seiner Wege.
Der arme Mann kommt unter der Woche zur Kirche.
Die arme Frau kommt unter der Woche.
Sie macht sauber und wischt auf.
Ja Herr,
die Starken stehen nur und gaffen.
Es sind die Schwachen, die Hand anlegen und helfen.
Vergib mir Herr,
wenn ich oft wie ein Starker handle,
wenn ich dastehe und gaffe!
VI
Veronica wischt Jesus den Schweiß vom Gesicht
Veronica wagt es aufzustehen, auch heute
Herr,
jeder weiß, dass du umhergingst und Gutes tatest,
doch keiner wagt es zu handeln.
Sie stehen anonym in der Menge.
Nein!
Da ist jemand, der es wagt aus der Anonymität hervor zu treten.
Eine, um genau zu sein.
Veronica, sie tritt hervor.
Sie glaubt an die Kraft des Einzelnen.
Sie glaubt, dass es besser ist,
eine Kerze zu entzünden als über Dunkelheit zu fluchen.
Sie weiß, dass sie den Unterschied machen kann.
Sie wischt dir den Schweiß vom Gesicht;
sie wagt es, aufzustehen und gesehen zu werden.
Ich denke an die Veronikas in Afrika.
Die Menschen, die an die Kraft des Einzelnen glauben.
Großartige Menschen wie Nyerere, Mandela und Tutu.
Aber auch an nicht so großartige Menschen, etwa an Johnson Ngosi –
einen 11-jährigen, der an AIDS starb,
und nur an einfache Leute …
wie die Frauen, die still ihre tägliche Pflicht erfüllen
und in ihren Heimen den Unterschied schaffen –
sorgende Mütter, treue Ehefrauen.
Und wie die jungen Menschen,
die sich täglich um die Werte der Jungfräulichkeit bemühen –
mutige junge Menschen, die gegen den Strom schwimmen.
Und wie die Tausenden, die positiv mit HIV leben
Und die Schar tausender Anderer,
die nicht nachlassen dem HIV-infizierten Jesus den Schweiß abzuwischen.
Afrika braucht mehr Menschen wie Veronika, Herr.
Ach, aber es ist nicht sie –
ich bin es.
Afrika braucht mich.
Ja lass mich weiterhin Kerzen anzünden.
VII
Jesus fällt zum zweiten Mal
Auch in unserer Zeit wird Jesus zu Boden gestoßen
Wieder fällst du, Herr.
Du bist schwach.
Die Menge schwillt ständig an,
die Strasse ist schmal,
die Soldaten verlieren die Kontrolle …
Die Zuschauer schubsen dich,
du wankst und fällst hin.
Dieses Mal fällst du niedergewalzt von der drängelnden Menge.
Nach all dem raffst du dich schließlich auf
und setzt deinen Weg fort.
Sie wissen nicht, was sie tun.
Sogar heute Herr
walzen die Mengen einzelne nieder.
Wenn ich es besser mache als sie,
dann wollen sie mich nicht lassen!
Eifersucht.
Ich müsse irgendeinen magischen Charme benutzen, sagen sie!
Wenn sie mehr Probleme als ich haben,
dann müssen sie einen Grund dafür finden.
Oft bin ich der Grund.
Weil ich so ruhig bin, bin ich ein Hexer!
Sie bringen mich brutal zur Strecke, Herr.
Mentalität des Mangels:
Habe ich mehr, fürchten sie weniger zu haben.
Habe ich Erfolg, fürchten sie erfolglos zu sein.
Boshafte Wettbewerbe und
Krebsartige Vergleiche.
Herr,
hilf mir, an eine Mentalität des Überflusses zu glauben.
Es gibt genug für jeden.
Leben ist ein „all-you-can“[5] Buffet.
Du bist gekommen, um uns Leben zu geben, Leben in seiner Fülle!
Jetzt muss ich mich aufraffen und meinen Weg fortsetzen.
Sie wissen nicht, was sie tun.
VIII
Frauen aus Jerusalem weinen um Jesus
Auch heute weinen Frauen
Herr,
als du den Hügel hinauf wankst,
mit kindlich kurzen Schritten,
erkennen dich die Frauen aus Jerusalem.
Sie weinen.
Einige kennen dich als Freund ihrer Kinder.
Andere wurden von dir geheilt
von kleinen oder großen Gebrechen.
Wieder andere sehen dich
als Lehrer ihrer jungen Männer.
In ihrem Herzen fühlen sie, dass du es nicht verdienst zu sterben.
Doch was können sie tun, außer da zu stehen und zu weinen.
Ich denke an die Frau, die ihr Kissen mit ihren Tränen nässt,
weil ihr Mann am Abend nicht nach hause gekommen ist.
Liegt er stock betrunken in der Gosse?
Oder teilt er das Bett einer anderen?
Männer wissen, was sie tun.
Sie kann nicht einmal sprechen,
sie kann nur weinen!
Ich denke an die Frau,
die traurig in der dunklen Ecke ihres Hauses sitzt,
weil ihr Sohn nicht von der Arbeit zurückgekommen ist.
Haben disziplinlose Polizisten ihn festgenommen
und ohne Verfahren eingesperrt?
Oder ist er in den Straßen der Stadt
von Schlägern angegriffen worden?
Sie weiß nicht, was da draußen passiert.
Sie kann nicht einmal sprechen,
Sie kann nur weinen!
Ich denke an die Frau, die da sitzt und still in sich hinein schluchzt,
unfähig an diesem Abend etwas zu essen,
weil ihre junge Tochter nicht von der Schule zurück ist.
Wurde sie von Gangstern entführt?
Oder hat sie einfach beschlossen wegzugehen
und bei ihrem Freund zu bleiben?
Sie ist jetzt in dem Alter.
Der Vogel ist flügge.
Die Mutter,
sie kann nicht einmal sprechen,
sie kann nur weinen!
Ich denke auch an eine andere Frau,
die sich heute Nacht unruhig im Bett hin und her wälzt,
denn ihr junger Sohn – ihr einziger Sohn –
wurde schon seit drei Tagen nirgends mehr gesehen.
Ist er auf und davon in die Stadt, um Arbeit zu finden
oder ein Straßenkind zu werden?
Oder haben ihn Rebellen aufgegriffen,
um aus ihm einen Kindersoldaten zu machen?
Es ist wenig, was sie tun kann.
Überhaupt nichts.
Sie kann nicht einmal sprechen,
sie kann nur weinen!
IX
Jesus fällt zum dritten Mal
Auch heutzutage fällt Jesus und rafft sich wieder hoch
Herr,
Du bist wirklich müde, durstig und erschöpft.
Die Sonne brennt und die Strasse ist staubig.
Der Weg bergan ist allzu ermüdend.
Deine Knie schlottern und dein Körper schmerzt dich.
Du gibst auf.
Du fällst nun ein weiteres Mal.
Das dritte Mal.
Für einen Augenblick nur verlierst du das Bewusstsein,
aber du kämpfst gegen die Versuchung aufzugeben.
Du gehst weiter.
Herr,
ich gebe zu leicht auf im Angesicht von Versuchungen.
Ich sündige.
Ich rechtfertige mich oft selbst:
„Es ist wegen der Umgebung.“
„Und jeder macht das so.“
„Nach allem, nur einmal! Ein einziges Mal!“
„Es ist in Ordnung…!“
Ich erteile mir selbst so schnell Absolution.
Herr,
hilf mir gegen die Versuchung anzugehen, aufzugeben.
Hilf mir von neuem zu beginnen.
X
Jesus wird seiner Kleider beraubt
Der Leib Jesu wird auch heutzutage entehrt
Herr,
du stehst nackt da. Splitternackt!
Nur mitfühlende Künstler legen dir ein Lendentuch um.
Ansonsten bist du splitternackt.
Während die Frauen schamhaft ihr Gesicht abwenden,
kichern die Männer neugierig über deine Männlichkeit.
Es tut mir Leid, Herr!
Der menschliche Körper ist heilig, Herr.
Unsere afrikanischen Kulturen haben uns das gelehrt.
Wie wir die Intimsphäre des Körpers anderer respektieren:
Wenn jemand sein Bedürfnis verrichtet,
wenn jemand badet und
wenn eine Frau gebiert.
Wie wir unseren Körper feiern:
Wenn wir essen, singen, tanzen und Sport treiben.
Wie wir einem toten Körper Reverenz erweisen:
Er oder sie – der tote Körper – ist immer noch ein Mensch.
Und heute stehen wir da und begaffen dich nackt.
Wir beobachten den zerbrochenen schwarzen Körper.
Das zersplitterte Ebenholz.
Den übel zugerichteten Körper des schwarzen Sklaven.
Den ausgebeuteten Körper des kolonialisierten Schwarzen.
Und die zur Schau gestellte schwarze Schönheit
bei einer postmodernen Modenschau.
Wie manche unserer jungen Frauen sich rein aus Nachahmungssucht kleiden
und raffiniert ihre Intimität zur Schau stellen.
Wie andere ihren Körper für kleine oder große Gefälligkeiten verkaufen.
Wie unsere Männer – junge und weniger junge –
sich an der Hilflosigkeit des weiblichen Körpers ergötzen.
Ja, heute stehen wir da und begaffen dich nackt.
Herr, es tut mir Leid.
XI
Jesus wird ans Kreuz genagelt
Jesus kann sich nicht selbst retten, auch heute nicht
Herr,
Sie nageln dich ans Kreuz.
Du hängst dort in physischer Pein:
„Mich dürstet!“
Du durchlebst wieder den Moment einer spirituellen Krise:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Und sie?
Der Ungerechtigkeit fügen sie die Verhöhnung hinzu:
„Er hat andere gerettet, warum kann er sich selbst nicht retten?“
Sie machen dich lächerlich.
Sie scheinen sich selbst zu rechtfertigen.
Jedenfalls haben sie dir die Gelegenheit gegeben,
dich selbst zu beweisen.
„Warum kann er sich selbst nicht helfen?“
Doch für dich ist es ein Augenblick der Versöhnung.
„Vater vergib ihnen …
Du wirst mit mir ins Paradies kommen …
Es ist vollbracht!“
„Warum kann Afrika sich nicht selbst helfen?“
schreien sie, die Afrika zum Opfer machen.
Sklavenhandel und Kolonialismus.
Rassismus und Diskriminierung.
Ausbeutung und Fremdherrschaft.
Afrika war auf der falschen Seite der Geschichte der Menschheit.
Nachdem sie den schwarzen Menschen seines Selbstwerts beraubt haben
schreien sie:
„Warum kann Afrika sich nicht selbst helfen?“
Entblößt von Generationen junger Arbeitskräfte
und seiner natürlichen Ressourcen beraubt,
fremden Formen von Politik ausgesetzt,
dominiert in dem neuen Spiel der Wirtschaft und
schockiert vom neuen Stil des gesellschaftlichen Lebens
hängt der Kontinent immer noch am Kreuz.
Doch während sie sich des Gewinns erfreuen, rufen sie aus:
„Warum kann Afrika sich nicht selbst helfen?“
Sie wollen keine Gerechtigkeit,
sie verteilen Subventionen!
Sie wollen nicht bereuen,
sie liefern Gründe!
Sie rechtfertigen sich selbst:
„Warum kann Afrika sich nicht selbst helfen?“
Sie beruhigen ihr Gewissen.
Doch Herr,
Afrika braucht Versöhnung.
Es braucht Heilung –
„Vater vergib ihnen …“
Herr lass Afrika Frieden erfahren,
überflutend von Wahrheit und Versöhnung.
Lass Afrika zu einem Paradies wahren Glücks werden.
XII
Jesus stirbt
Jesus stirbt zu Unrecht, auch heute
Herr,
du stirbst als Mensch.
Ich weiß, dein Tod steht im Mittelpunkt der Heilsgeschichte.
In der Geschichte der Menschheit ist dein Tod jedoch ein unrechtmäßiger Tod,
ein vorzeitiger Tod,
ein unnötiger Tod,
ein gewaltsamer Tod.
Es war ein unverdientes Todesurteil.
Heute,
bist du einer von denen, die im Straßenverkehr zu Tode kommen
durch betrunkene Fahrer,
wegen nicht fahrtüchtiger Autos,
durch korrupte Gesetzeshüter,
wegen vernachlässigter Strassen.
Du bist einer von denen, die man heute in den Hospitälern sterben lässt
wegen fehlender elementarer Medikamente,
wegen fehlender qualifizierter Ärzte,
wegen der Versäumnisse verantwortungslosen Personals,
wegen inadäquater Gesundheitspolitik oder
wegen des egoistischen Gerangels in der Großfamilie.
In Afrika gehen die Menschen oft in ein Hospital um zu sterben.
Du bist einer von denen, die unmenschlichen Gewalten zum Opfer fallen,
wegen deiner politischen Ansichten,
wegen eines Schlägers am Straßenrand, der dich berauben will.
Herr, du stirbst heutzutage im Mutterleib!
Herr, du stirbst heute unversorgt,
vernachlässigt und verstoßen von deiner Verwandtschaft,
weil du HIV infiziert bist.
Herr, ruhe in Frieden.
Herr, lass sie ruhen in Frieden.
XIII
Jesus wird in die Arme seiner Mutter gelegt
Jesus ist hilflos, auch heute
Herr,
du gingst umher und tatest Gutes.
Du halfst zu Lebzeiten so vielen Menschen.
Nun liegst du hilflos da. Tot! –
Zumindest vorübergehend!
Deine liebende Mutter streichelt dich liebevoll,
als wolle sie dich trösten, in Wirklichkeit aber tröstet sie sich selbst,
denn sie ist auch hilflos.
Herr,
ich denke an die Hilflosen in Afrika.
An die Kinder,
die allein aufwachsen,
die oft nicht dort zu finden sind, wo etwas getan wird!
Die Straßenkinder
im Dreck der Strassen in der Stadt.
Die Frauen,
Arbeitstiere und Decken zum Wärmen ihrer Männer!
Die allein erziehende Mutter,
Ziel weiblicher Verachtung und männlicher Lust!
Die Armen,
deren Stimme unterdrückt wird und deren Rechte verneint werden!
Die Menschen, die mit AIDS leben,
Ziele der Stigmatisierung und der Verurteilung.
Herr,
wer wird sie liebkosen?
Wer wird sie trösten wenn nicht ich?
XIV
Jesus wird ins Grab gelegt
Auch heutzutage muss Jesus ins Grab gelegt werden, in unseren Herzen
Herr,
du bist begraben, aber das ist nicht das Ende.
Deine Grablegung ist nur symbolisch.
Es herrscht Stille. Spannung macht sich breit.
Es ist wie beim Korn, das in die Erde fällt.
Bald wird dort Leben sein.
Neues Leben. Hundertfach.
Dein Begräbnis ist ein stilles Ereignis der Hoffnung.
Die Festivitäten kommen bald.
Herr, warum fürchte ich mich in der Stille?
Ist es, weil ich nicht bereit bin für Veränderungen und Wachsen?
Afrika braucht Stille, Herr,
eine heilsame Stille!
Afrika ist wie dein zerrissener Körper, dein mattes Gesicht:
Wunden der Geschichte – brutaler Sklavenhandel, unterdrückender Kolonialismus,
egoistische postkoloniale Führer, Bürgerkriege, Neokolonialismus …
Tiefe Wunden. Einige davon selbst zugefügt.
Es bedarf der Stille, diese Wunden zu verbinden. Oder den Verband zu lösen!
Eine nachdenkliche Stille.
Wenn wir nicht innehalten,
verletzen wir uns weiter selbst, indem wir der Vergangenheit die Schuld geben.
Berge uns Herr im Mutterleib des Wiederaufbaus und der Entkolonialisierung,
damit wir wiedergeboren werden,
damit wir mit dir zu neuem Leben auferstehen.
XV
Er ist auferstanden! Hallelujah!
Auch wir werden eines Tages siegen
Der Tod eines Helden ist immer symbolisch.
Ein Held wird nie getötet, er wird nur schlafen gelegt.
Die Stimme eines Märtyrers ist im Tode lauter als im Leben.
Aber dieser, unser Held ist weder tot, noch schläft er!
Er lebt!
Wahrhaftig!
Sein Tod und seine Auferstehung sind nicht nur symbolisch, sondern wirklich.
Historisch!
Historisch …
Durch das leere Grab
Trotz der römischen Wächter …
Durch Magdalenas mutige Verkündigung.
Die Wahrheit einer Frau,
bestätigt durch die Evangelien
ohne die Befürchtung, als Lüge aufgedeckt zu werden …
Durch den Mut der Apostel,
die sich vorher hinter verschlossenen Türen versteckt hielten
aus Angst vor den Führern der Juden.
Jetzt kommen sie wie trunken auf die Straße.
Und der Mann, der Jesus – aus Angst vor einer Frau –
verleugnete, ruft jetzt aus:
„Israeliten hört diese Worte:
Jesus der Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat …
ihn … habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt …“ (Apg 2 23,24)
Nein, Ostern ist nicht bloß ein Event,
auch wenn es historisch ist.
Die Auferstehung ist eine Erfahrung!
Herr, lass Ostern nicht nur ein Event für mich sein.
Lass es zu einer Erfahrung werden –
der Erfahrung der Auferstehung zu einer neuen Existenz.
Lass es zur Erfahrung der Rechtfertigung werden,
wenn die Ungerechten ihren Höhepunkt haben,
wenn das Böse über mich lacht.
Ich weiß, ich muss für Gottes Liebe bereit sein,
denn Seine Liebe ist rächend.
Er verteidigt den Gerechten zu Seiner Zeit.
Das ist eine gute Nachricht für Afrika, Herr.
Der Kontinent, der nur schlechte Nachrichten bringt,
benötigt diese gute Nachricht so dringend.
„Der schwarze Kontinent, der verlorene Kontinent:
Kriege, Putsche, AIDS, Armut …“
Der Gerechte wird gerächt,
dein Vater hat immer noch die Kontrolle.
Inmitten der Verwirrung und der Widersprüche
der menschlichen Geschichte
hat Gott die Kontrolle.
Inmitten der finsteren Ereignisse menschlicher Schwäche
ist Er immer noch der Herr.
Warum sollen wir niedergeschlagen sein?
Die Opfer von heute werden bald gerächt.
Sie werden die Helden von morgen sein.
Wir sehen diese Geschichte wie Teile eines Puzzles,
Du aber planst das Ganze.
Herr, ich weiß, Du liebst die Welt noch immer, noch immer.
Es wird einen Neuen Himmel und eine Neue Erde geben.
Amen! Hallelujah!
[1] Rungus (Stöcke) benutzen die Hirten der Massai zur Abwehr wilder Tiere und Feinde, aber auch die Polizei…
[2] Bürger
[3] Afrik. Bezeichnung für einfache Leute
[4] Harambee: Eine Gemeinschaft legt zusammen für einen bestimmten Zweck
[5] so-viel-wie-du-kannst