Das Gebet des Demütigen

Das Gebet des Demütigen dringt durch die Wolken

Gleichnis vom Pharisäer und Steuereinnehmer Lk 18,9-14 und Sir 35,21

Es ist einige Jahre her, da hielt ich dies für eine wunderbare Beschreibung für das, was Gebet bedeutet: „Im Gebet nehme ich wahr, wer ich in der Gegenwart Gottes bin.“ Mit dieser Definition konnte ich die verschiedenen Formen des Gebetes erklären. Wenn ich mich als abhängig von Gott erlebe, werde ich ein Bittgebet an ihn richten. Wenn ich mich als Sünder wahrnehme, werde ich ein Gebet der Reue sprechen. Wenn ich merke, was Gott alles für mich getan hat, werde ich im Gebet meinen Dank ausdrücken.

Mit Begeisterung habe ich diese Definition bei meinen Einkehrtagen mit jungen Leuten benutzt. Ich konnte damit beeindrucken. Aber nur bis zu einem bestimmten Tag. An diesem besonderen Tag wurde die schöne Definition durch die Frage einer jungen Teilnehmerin hinweg gefegt. „Father,“ sagte sie, „und was ist mit Gott bei all dem?“ Die Frage machte mich nachdenklich: Wer steht eigentlich im Mittelpunkt meines Gebetes? Wer hat sozusagen die Zügel in der Hand? Ich oder Gott? Ich merkte, in meinem Beten kommt zu oft ‘Ich’ vor.

Im heutigen Evangelium bringt Jesus seine drei geteilte Botschaft zum Gebet zum Abschluss: In Teil eins – es ist die Geschichte des geheilten leprakranken Samariters – lehrt uns Jesus, dass Dankbarkeit viel mehr als Bitten die Möglichkeit zur Begegnung mit Gott eröffnet. Zweitens – in dem Gleichnis von der beharrlich ihr Recht einfordernden Witwe – betont Jesus die Bedeutung des anhaltenden Betens. Heute hören wir nun die dritte Geschichte. Sie lädt uns ein, darüber nachzudenken, wie unsere innere Einstellung zum Beten ist.

Der Evangelist Lukas ist ein meisterhafter Geschichtenerzähler. Wichtig ist, seine Geschichten nicht nur oberflächlich zu betrachten. Um ihre tiefere Bedeutung zu verstehen, müssen  wir uns seinen Erzählstil genauer ansehen und darauf acht geben, was die entscheidende Wendung der Geschichte ist. Dies kann man deutlich machen, z.B. an der Geschichte des Barmherzigen Samariters (Lk 10,25-37), an der Geschichte des Verlorenen Sohnes (Lk 15,11-32) und an der heutigen Geschichte (Lk 18,9-14).

Bei meinem Nachdenken über den heutigen Text wurden mir fünf Aspekte von Gebet und Spiritualität wieder deutlich. Diese fünf Aspekte möchte ich ihnen nahe bringen. Ich erlebe sie als Einladung Gottes an mich, mein Beten und mein Leben zu vertiefen. Sie markieren einen Prozess – oder anders ausgedrückt, sie beschreiben die Lebensreise, zu der Gott mich einlädt.

Vom Ich-zentrierten zum Gott-zentrierten Gebet

„Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich folgendes Gebet…“ (18,11). Obwohl sein Gebet mit dem Wort ‘Gott’ beginnt, scheint es nicht wirklich an Gott gerichtet zu sein. Auch wenn man nicht nachzählt, fällt auf, dass sein Gebet zu viele ‘Ich’ enthält (nachgezählt sind es sechs): „Ich danke dir…; Ich bin nicht wie die anderen…; Nicht wie dieser Steuereinnehmer…; Ich faste…; Ich zahle Steuern an den Tempel….“ Das Pronomen ‘Ich’ ist das Subjekt dieses Gebets.

Vor einiger Zeit, als wir das Magnificat beteten (Lk 1,46-55), fiel mir auf, welcher Stolz aus Maria spricht, und ich dachte an den Stolz des Pharisäers in unserem heutigen Evangelium. Ich verglich die beiden Texten und fand etwas sehr Erfreuliches. Im Gegensatz zu dem Gebet des Pharisäers ist Marias Gebet Gott-zentriert. Fast jeder Satz beginnt mit ‘Er’ (neun Mal genau genommen). Wenn sie von sich spricht, dann als von jemandem, an dem Gott handelt. Maria fühlt sich erhöht, aber es ist Gott, der dies bewirkt. Ihre Haltung ist der ähnlich, die wir im Gebet des Steuereinnehmers erkennen können. Er verlässt sich ganz auf die Gnade Gottes. Er sieht sich als ein Objekt der Gnade Gottes.

Die Frage an uns: Wer steht im Zentrum meines Gebets? Zu was für einem Gott bete ich?

Vom wortreichen zum stillen Gebet

Der zweite Gegensatz zwischen dem Gebet des Pharisäers und dem des Steuereinnehmers besteht darin, dass das erste Gebet durch die vielen Worte aufgebläht ist. Das Gebet des Steuereinnehmers ist kurz aber tief.  Jesus ist langen wortreichen Gebeten gegenüber skeptisch. An einer Stelle in den Evangelien sagt Jesus: „Nehmt euch in acht vor den Schriftgelehrten, die nur eines wollen: in Talaren umhergehen, in der Öffentlichkeit von allen gegrüßt werden und überall, beim Gottesdienst und bei Einladungen, die ersten Plätze zugewiesen bekommen. Wer aber seine Gebete mit (vielen Worten und) großem Getue verrichtet und sich gleichzeitig die Häuser von Witwen unter den Nagel reißt, wird im Gericht besonders hart bestraft“ (Lk 20,46-47; Mk 12,38-40).

Auch sagt er in Mt 6,7: „Wenn ihr betet, dann redet nicht viele leere, dumme Worte wie die Heiden (zu ihren leeren, dummen Götzen)*. Denn sie meinen, dass sie nur durch viele Worte (an viele Götzen)* erhört werden“ <*Übersetzung Klaus Berger>. Und fährt dann fort, sie das ‘Vater Unser’ zu lehren. So, sollt ihr beten… In dieser Weise sollt ihr beten“ (Mt 6,9). Das ‘Vater Unser’ zeigt beispielhaft, wie unsere Einstellung zum Gebet sein soll.

Ich will damit nicht sagen, dass wir beim Beten keine Worte brauchen. Wir brauchen sie, besonders dann, wenn wir als Gemeinschaft beten. Die Sprache verbindet uns Menschen, auch beim Beten. Aber ist es nicht so, dass ich mich von den Worten löse, wenn ich tiefer gelange, wenn ich Gott in den Nischen meines Herzens höre?  Die Bewegung von den Worten hin zum schweigenden Gebet entspricht der Bewegung vom Kopf hin zum Herzen.

Von der Selbst-Rechtfertigung zur Rechtfertigung durch Gott

Der Eröffnungssatz des heutigen Evangeliums erklärt uns, was Jesus mit diesem Gleichnis beabsichtigt: „Über Menschen, die sich auf ihre eigene Gerechtigkeit etwas einbildeten und alle übrigen Menschen verachteten, erzählte Jesus folgendes Gleichnis“ (18,9). Und die Schlussfolgerung der Geschichte erinnert uns noch einmal daran, dass es nur Gott ist, der uns rechtfertigen kann.

Der Pharisäer wird selbst beim Gebet ein Opfer des krebsartigen Übels, sich miteinander zu vergleichen. Er rechtfertigt sich selbst und verachtet seinen Nachbarn im Tempel. In der geschichtlichen Situation dieses Gebetes ist der Pharisäer durchaus im Recht, den Steuereinnehmer zu verurteilen. Steuereinnehmer wurden als Kollaborateure der Römischen Besatzer angesehen. Der Pharisäer kann auch beim Gebet seine Befangenheit in den sozialen Strukturen nicht ablegen. Er weiß, dass ihm der Steuereinnehmer im gesellschaftlichen Bereich durch größere Macht überlegen ist. So gaukelt ihm sein Stolz vor, dass er dafür im spirituellen Bereich weit überlegen sei. Aber da lief er in die Irre. Dies ging zu weit – er stellt sich selbst über den Rest der Menschheit. Indem er sich anmaßt, das Innere anderer Menschen zu beurteilen, macht der Pharisäer sich zu Gott. Und damit wendet sich alles gegen ihn.  Am Ende geht der Steuereinnehmer gerechtfertigt nach Hause. Gott ist es, der ihn gerechtfertigt hat.

Geht es mir auch so, dass ich mich in meinen Gebeten auf den Richterstuhl setze, dass ich andere verurteile? Rechtfertige ich mich selbst oder bin ich offen für die rettende Gnade Gottes?

Von Selbst-Genügsamkeit zu Gott-Bedürftigkeit

Das Dankgebet, wie es der Pharisäer darbringt, versteckt auf subtile Weise seinen Stolz. Er dankt Gott für Dinge, die er sich als seine eigene Leistung anrechnet. „Ich bin nicht ungerecht, ich faste, ich zahle Steuern….“

Ursprünglich musste Israel nur einmal im Jahr ‘fasten’ und zwar am Sühnetag (Lev 16,29-31; Num 30,31). Später während der Angriffe durch Nebukadnezar kamen noch andere Arten von ‘Fasten’ dazu (Jer 39,2). Bei diesem Fasten ging es nicht nur um die Enthaltsamkeit von Speisen – Dan 10,3 spricht  im Zusammenhang mit Fasten vom ‘ungesäuerten Brot’ und Deut 16,3 vom ‘Brot des Kummers und der Beschwernis’. Allgemein gesprochen ging es um eine sich selbst auferlegte ‘Erschwernis’ oder um eine ‘Selbst-Erniedrigung’. Es ist denkbar, dass in der Zeit der Propheten, als das Fasten mehr Bedeutung bekam, diese ursprüngliche Bedeutung verloren ging. Dafür aber nehmen die Warnungen an Israel zu, zum ursprünglichen Geist des Gesetzes zurückzukehren: Sich selbst vor Gott zu bescheiden, demütig vor Gott hinzutreten!

Der Pharisäer in der heutigen Geschichte „stellt sich hin“ und erinnert Gott daran, dass er zweimal in der Woche fastet. Er gibt zu erkennen, dass er die Barmherzigkeit Gottes nicht braucht. Er hat genug geleistet, um seinen Lohn automatisch zu erhalten. Sein Fasten ist kein Akt der Selbstbescheidung, sein Fasten ist Grund für Stolz. Stolz aber ist eine Haltung, die zeigt, dass wir in einer Illusion über uns selbst leben. Stolz ist der falsche Glaube, Gott nicht zu brauchen: Gott ist jemand für Arme und Schwache!  Genau dies ist der Stolz der gegenwärtigen Welt.

Das englische Wort ‘humility’, im Lateinischen ‘Humilitas’, zu deutsch ‘Demut’, hat zu tun mit dem lateinischen Wort ‘humus’, das ‘Erde’ bedeutet. So könnte Demut im spirituellen Sinne ausdrücken, sich klein machen bis zum Erdboden. Dies tut der Steuereinnehmer: „Er blieb ganz weit weg vom Altar stehen und wagte kaum, die Augen zum Himmel zu erheben…“ (18,13). Demut erinnert uns daran, dass wir Gott so nötig brauchen wie die Erde, auf der wir stehen.

Vom Spiritualität-Tun zum Spirituell-Sein

Damit kommen wir zum letzten Punkt unserer Reflexion. Ja, der Pharisäer schätzt Werke der Frömmigkeit, das Tun guter Werke sehr hoch ein. Und gerade dieses sein ‘spirituelles’ Tun wird ihm zur Ursache seines Falls. Sein Tun lenkt ihn vom Wesentlichen ab. Der Pharisäer ist nicht mehr in der Lage, auf Gott zu hören, der ihn einlädt, einfach nur in seiner Heiligen Gegenwart zu sein.

Wie ist es mit mir? Bin ich bereit, einfach in Gottes Gegenwart zu sein? Oder bin ich damit beschäftigt, viele Dinge für Gott zu tun?

Das Tun führt zu einer Überbewertung der Anstrengungen des Menschen, Gott zu erfahren. Das Sein, im Gegensatz dazu, öffnet mich seiner Gnade.

Was ist demnach wahres Gebet?

Beten heißt wahrnehmen, dass Er, der ist, da ist – Gott!

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